Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
schwer, sich auf den Beinen zu halten. Ihr ganzes Sehnen richtete sich nach einer warmen Mahlzeit und einem Bett, nach einigen Momenten der Ruhe. Hildegards Tod hing immer noch wie ein Schatten über ihr, verdüsterte ihren Blick auf die Welt und nahm ihr alle Hoffnung, jemals in ihrem Leben Frieden zu finden. Sie fühlte sich, als seien all ihre Knochen nur noch dünn und schwach wie Reisig. Aber sie wusste, dass sie als Esclarmondes Vertraute Pflichten hatte.
» Gut, gebt mir nur schnell etwas zu essen, dann sehe ich mir diese Leute an « , forderte sie Hugues auf, der sogleich auf einen freien Platz auf einer Bank wies. Peyres hingegen wurde gleich hinausgeschoben.
» Wir wissen nicht, ob die Kreuzfahrer nicht noch einmal hier nachfragen « , erklärte Hugues. » Der Mann wird in die Dachkammer gebracht. Dort bekommt er natürlich auch etwas zu essen. «
Adelind sah sich kurz um, aber Peyres wich ihrem Blick aus, als habe er begriffen, dass die innige Nähe, die sie letzte Nacht noch einmal hatten erleben dürfen, ihrer beider Geheimnis bleiben musste. Adelind schossen Tränen in die Augen, aber sie schalt sich für ihre Torheit und begann, die Gemüsebrühe zu essen. Hildegard war ihren Weg mutig zu Ende gegangen, und ebendies musste sie selbst nun auch tun.
Es waren zehn Leute im Haus des Pfarrers untergebracht, die er im Ernstfall als Bedienstete oder in Not geratene Familienmitglieder ausgeben wollte, doch ließen sich die Kreuzritter nicht mehr blicken. Adelind verarztete Wunden, wobei ihr Olivette und auch Hugues zur Seite standen. Trost und Hilfe zu spenden nahm ihr die Zeit zum Grübeln, wofür sie dankbar war, denn ihr eigenes Unglück wurde von dem Elend anderer Menschen verdrängt. Sie stieß auf weitere bekannte Gesichter, drei ältere Perfachs aus der domus an der Pòrta Narbonesa in Carcassona, die nach dem Verlassen der Stadt den Anschluss an die restliche Gruppe verloren und sich verirrt hatten. Das Ziel der anderen war Montsegur gewesen, erfuhr sie, jene Burg, die als uneinnehmbare Festung inmitten der Pyrenäen sicheren Schutz versprach. Die meisten Flüchtlinge stammten aber aus kleinen Dörfern, die das Heer unterwegs verwüstet hatte. Nicht alle davon waren Katharer. Die zwei kleinen Mädchen mit schweren Brandwunden waren von ihrer Mutter im letzten Augenblick aus dem Haus gezerrt worden. Den Vater hatte sie nicht mehr retten können, da brennende Balken über ihm eingestürzt waren. Die Frau beteuerte weinend, ihr Leben lang eine gute Katholikin gewesen zu sein, erst jetzt habe sie beschlossen, sich von einer Kirche abzuwenden, die solches Unheil über ihre Heimat gebracht hatte. Die Töchter sollten in einer katharischen domus aufwachsen, falls sie überlebten, versprach sie Adelind, die keine derartigen Forderungen gestellt hatte. Pater Raoul nahm diese Aussagen mit gesenktem Haupt hin. Er musste sich in letzter Zeit sehr viele Vorwürfe gegen seine Kirche angehört haben, erwog Adelind und achtete ihn umso mehr für seine ungebrochene Hilfsbereitschaft. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein derartiger Mensch nach seinem Tod nicht den Weg in Gottes Reich finden würde, selbst wenn er kein Consolament empfing.
Zwei Wochen später waren alle Verwundeten wieder in der Lage zu gehen. Felice, das jüngere der zwei aus dem Feuer geretteten Mädchen, hatte ein Auge verloren und würde bis an ihr Lebensende eine entstellte Gesichtshälfte behalten. Ihre Schwester Veronica humpelte, vermochte einen Arm nicht mehr zu bewegen, doch war ihr weiterhin ein angenehmes Äußeres vergönnt. Die übrigen Flüchtlinge drängten nun zum Aufbruch, denn es war nur eine Frage der Zeit, bis das Heer der Kreuzfahrer sich in ihre Richtung bewegen würde. So ließ der Dorfpfarrer Vorräte für sie einsammeln, stellte ihnen einen alten Esel zur Verfügung, den sie mit ein paar Säcken beladen konnten, und versprach, für ihre heile Ankunft in Pàmias zu beten.
Sie versammelten sich im Morgengrauen. In der Nacht hatte es geregnet, sodass die Luft frisch und rein duftete. Adelind fühlte sich auf einmal viel kräftiger, als sie in den letzten Tagen gewesen war. Bald schon konnte sie Esclarmonde wiedersehen, was ihr sicher neuen Lebensmut schenken und ihren Glauben festigen würde. Sie hatte jeden Tag Wunden gewaschen, Salben aufgetragen und Verbände erneuert, bis sämtliche Muskeln ihres Körpers schmerzten, aber trotz aller Erschöpfung waren ihre Nächte ruhelos geblieben. Das Wissen um Hildegards Tod
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