Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
Neuankömmlinge in einem Dorf nicht unbedingt alltäglich waren, schenkte ihnen niemand besondere Beachtung.
Die Tür öffnete sich, Hugues trat ein, und Adelind folgte gemeinsam mit Peyres. Ein mittelgroßer Raum lag vor ihnen. Sie erblickte mehrere Menschen, die um eine Tafel versammelt saßen. Ein Brotfladen wurde herumgereicht, und jeder riss ein Stück davon ab. Sie hatten die Köpfe gesenkt, murmelten Gebete. Adelind konnte zunächst nicht glauben, was sie sah, denn dies glich dem Ritual der ecclesia Dei, obwohl sie sich unmittelbar neben einer katholischen Kirche befanden. Dann hörte sie einen Freudenschrei. Ein schmales, blasses, mit Sommersprossen übersätes Gesicht sah in ihre Richtung. Noch vermeinte sie zu träumen, da war Olivette schon aufgesprungen, um ihr vor allen Leuten um den Hals zu fallen.
» Du bist ihnen also entkommen « , stellte Peyres indessen fest. Olivette wischte sich Freudentränen aus den Augen und schüttelte den Kopf.
» Nein, zunächst nicht. Ich trennte mich freiwillig von euch, denn ich dachte, wenn wir hintereinander herliefen, wären wir leichter zu verfolgen. Ich wich der Lichtung aus und blieb im Wald, doch sie entdeckten mich und setzten mir nach. Als sie mich umzingelt hatten, hoffte ich nur auf einen schnellen Tod, aber der Anführer schien kein mordlustiger Gesell, pfiff sogar die Hunde zurück, bevor sie mich zerfetzen konnten. Dann sprach er sehr ruhig mit mir, wollte wissen, wer ich denn sei. Ich gab vor, aus einem Dorf in der Gegend zu stammen, sagte, ich hätte Pilze im Wald gesucht und sei von den Hunden aufgeschreckt worden. Da eine junge Frau allein immer in Gefahr ist, sei ich davongelaufen. Zwei der Männer glaubten mir diese Geschichte sogar, aber der Anführer stellte mich auf eine Probe. Sie schleppten mich in dieses Dorf, das erste, das sie fanden, und holten ein Huhn, das ich vor aller Augen schlachten sollte. «
Olivette senkte den Blick.
» Ich wollte es tun, aber ich konnte nicht. Aus den Augen des Tieres sprach eine Seele zu mir. Ich dachte, ich sei bereits verloren, da kam der Priester des Dorfes, begrüßte mich und fragte die Reiter, was sie von mir wollten. Er schwor, ich sei ein Dorfmädchen und eine gute Katholikin, nur etwas zimperlich, wenn es um das Schlachten von Tieren ging. Mehrere Anwohner bestätigten das, obwohl ich sie nie zuvor gesehen hatte. Nach einigem Gerede zogen die Kreuzritter ab, um weiter in den Wäldern zu suchen. «
Adelind schluckte. Olivette hatte kein Gebot gebrochen, ganz im Gegensatz zu ihr selbst.
» Wer ist dieser Priester, der dir zu Hilfe kam « , meldete sich nun Peyres zu Wort.
» Raoul, mein Bruder « , antwortete Hugues an Olivettes Stelle. » Es schmerzte ihn sehr, als ich mich einer anderen Kirche zuwandte. Er versuchte fünf Jahre ohne Unterlass, mich zu bekehren, aber auf einem Scheiterhaufen will er mich nicht brennen sehen, ebenso wenig wie alle anderen Menschen, die meinen Glauben teilen. «
Er wies auf einen ebenso kleinen, etwas rundlicheren Mann, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte. Adelind erkannte ein hölzernes Kruzifix um seinen Hals.
» Sobald diese Kreuzritter wieder abgezogen sind, bringen wir Euch und alle anderen hier in das Gebiet des Comte de Foix « , fuhr Hugues fort. » Bis dahin müssen wir vor allem den dunklen Mann verstecken, denn er fällt zu sehr auf. «
Peyres nahm es nickend hin. Adelind drückte Olivette nochmals an sich, dann musterte sie die anderen Menschen in diesem Raum. Es waren viele alte Leute darunter, vermutlich etliche Perfachs wie sie selbst, aber auch Mütter mit Kindern.
» All diese Leute sind auf der Flucht vor dem Heer « , erklärte Hugues. » Wir haben einige Verletzte in den oberen Räumen untergebracht. Olivette erzählte uns, dass Ihr Euch in der Heilkunde auskennt. «
» Allzu viel weiß ich nicht « , gestand Adelind. Die Sehnsucht nach Ursanne schmerzte plötzlich wie ein Messerstich in ihrem Herzen, denn früher war ihr die alte, blinde Frau stets mit ihren Kenntnissen zur Seite gestanden.
» Es sind nur die üblichen Schnittwunden, die wir auch in der domus hatten « , warf Olivette ein. » Und zwei kleine Kinder haben schlimme Verbrennungen. Seht es Euch wenigstens an, denn leider gibt es sonst niemand Heilkundigen hier im Umland, dem der Pfarrer völlig vertraut. «
Adelind spürte den Schmerz in ihren Füßen nun noch deutlicher als auf dem Weg durch den Wald. Sie stützte sich an einer Lehne ab, denn auf einmal fiel es ihr
Weitere Kostenlose Bücher