Die Ketzerin von Carcassonne: Historischer Roman (German Edition)
hatte immer wieder grauenhafte Bilder heraufbeschworen, wenn sie die Augen schloss und sich nach Schlaf sehnte. Sie hatte daher begonnen, die Erinnerung an ihre letzte Nacht mit Peyres aufleben zu lassen, obwohl sie es sich tagsüber geflissentlich verbot, an ihn zu denken. Nachts aber konnte sie nur dadurch Erlösung von dem Grauen finden, das sich ansonsten in jedem ihrer Knochen festbiss und sie bis zum Morgengrauen plagte.
Nun sah sie ihn zum ersten Mal wieder lebendig vor sich, denn er sollte mit ihnen nach Pàmias ziehen. Die Wunde war ohne fremde Hilfe verheilt, doch wirkte sein Gesicht weiterhin blass. Er trug jene schlichte Bauernkleidung, die nicht zu ihm passte, ergriff sogleich das Seil am Hals des Esels, der sich störrisch weigerte, mit all der Last auf seinem Rücken einen Schritt vorwärts zu tun. Peyres murmelte beruhigende Worte, während er den Hals des Tieres rieb, und brachte es so dazu, gemächlich loszuschreiten. Die anderen Flüchtlinge setzten sich ebenfalls in Bewegung. Adelind hielt die Hand von Felice umklammert, die immer noch unter Schmerzen litt, und ermahnte sie, nun tapfer zu laufen. Ein Stück hinter ihr ging Olivette und stützte Veronica gemeinsam mit deren Mutter. Hugues schritt neben ihnen her. Er hatte am vorigen Abend Abschied von seinem Bruder genommen, den er vermutlich niemals wiedersehen würde. Die Dorfbewohner säumten den Flüchtlingszug ein, winkten und übergaben noch ein paar Früchte und Brotfladen. Adelind gewann langsam die Hoffnung auf ein friedliches Leben zurück, denn nicht alle Menschen dieser Welt schienen Verräter.
» Dòna « , vernahm sie Hugues’ Stimme und blickte auf seine Glatze hinab.
» Ihr seid eine sehr angesehene und kluge Perfacha, wie mir aufgefallen ist. «
Adelind fühlte sich geschmeichelt. Eitelkeit war immer eine ihrer Schwächen gewesen, mahnte sie sich.
» Gott der Herr hat uns die Möglichkeit zu mehreren Leben geschenkt « , fuhr der alte Mann fort. » Nur die erbarmungslosen Katholiken wollen der Menschheit diese Hoffnung nicht gönnen. «
Adelind nickte, obwohl sie nicht wusste, welchen Sinn dieses Gespräch haben sollte.
» Vielleicht solltet Ihr in diesem Leben den Weg einschlagen, den Euer Herz Euch weist, denn er ist kein schlechter. Geht Ihr danach nicht in Gottes Reich ein, so stehen Euch weitere Gelegenheiten offen. «
Adelind fuhr nun verwirrt herum und sah die klugen grauen Augen verschwörerisch blitzen. Ärger überkam sie, als sei sie in ihren geheimsten Sehnsüchten ertappt worden. Hugues hatte also wirklich begriffen, was damals im Wald zwischen ihr und Peyres geschehen war, doch musste sie ihm zugutehalten, dass er nicht geplaudert hatte, da ihr bisher keine vorwurfsvollen Blicke von anderen Perfachs aufgefallen waren.
» Ich weiß selbst, welchen Weg ich gehen muss « , gab sie daher kühl zurück. Dann richtete ihr Blick sich wieder auf Peyres, der ihnen allen voranschritt und aus dem störrischen Esel ein williges Lasttier gemacht hatte. Seit dem Aufbruch hatte er sich kein einziges Mal nach ihr umgedreht, ihr weder durch Blicke noch Gesten zu verstehen gegeben, dass er erfreut war, sie wiederzusehen. Seine Kälte schmerzte, obwohl Adelind wusste, dass dieses Verhalten in ihrer beider Lage völlig angebracht war.
Sie kamen flott voran, bis die Sonne hoch am Himmel stand und Adelind hörte, wie Felice bei jedem Schritt leise zu wimmern begann.
» Ich glaube, die Kinder sind müde « , wandte sie sich an Hugues, der den Kopf leicht zur Seite neigte.
» Euer… Gefährte, der dunkle Mann, hat die Führung übernommen, da er sich nach langem Herumreisen angeblich gut in der Gegend auskennt. Ich denke, mit ihm müsst Ihr reden. «
Adelind unterdrückte einen Seufzer, übergab Felice ihrer Mutter und drängelte sich an den dahintrottenden Gefährten vorbei zu Peyres.
» Wir sollten eine kurze Rast einlegen « , sagte sie zu seinem Rücken, denn er hatte sich nicht zu ihr umgedreht. » Wir sind schon seit Stunden unterwegs und haben Kinder dabei, von denen zwei schwere Verletzungen haben. Mit einem gefüllten Magen kommen wir alle besser voran. «
Nun sah Peyres ihr ins Gesicht. Sie fühlte rasende Freude in sich aufsteigen, gedämpft durch Scham und Angst, er könne dieses Gefühl an ihrem Gesicht ablesen.
» Wir dürfen nicht trödeln « , antwortete er so nüchtern, dass sie sich zurückgestoßen fühlte. » Noch sind wir nicht in Sicherheit. «
» Aber die Männer, die nach uns gesucht haben, sind
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