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Die Kinder aus Nr. 67

Die Kinder aus Nr. 67

Titel: Die Kinder aus Nr. 67 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Tetzner
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trübe, zunehmende Aufheiterung«, hieß es.
    Das große Fest
     
    Der Sonntag begann mit einem grauen, verhangenen Himmel und mit viel Feuchtigkeit. Trotzdem verteilten die Kinder ihr gesammeltes Grün und verdeckten mit ihm alle Schäden des Hauses. Sogar die Abfalleimer wurden mit Birken umstellt.
     
    Erwin hängte als erster mutig die Fahnen heraus. Heiner und Willi folgten.
     
    Obwohl es Sonntag war, kehrte der Portier nochmals freiwillig den Hof.
     
    Endlich hellte sich der Himmel auf. Die Wolkenwand wurde dünner, und nachmittags um vier Uhr sah man den ersten blauen Himmel. Es war wie ein schmaler, länglicher Ärmel. Bald darauf erweiterte er sich, und die Weißnäherin stellte fest: »Jetzt könnte ich schon ein Männerhemd draus nähen. Nun bleibt es schön.«
     
    Vater Brackmann und Frau Manasse stellten in einer Ecke des Hofes einen Tisch auf und brachten Wäschekörbe für die Speisen. Die Kinder mußten noch Eintrittskarten zurechtschneiden und mit Seilen, die ihnen der Portier besorgt hatte, das vordere Haustor absperren. Schon um fünf Uhr durften nur noch Hausbewohner die Sperrkette passieren. Fremde, Verwandte und Straßennachbarn mußten zwanzig Pfennige Eintritt zahlen. Manche schimpften und sagten:
     
    »Das Fest geht uns ja gar nichts an.« Sie wollten nur rasch zu dem oder jenem.
     
    Aber Heiner war Torwächter, und er ließ keinen ohne Eintritt durch. Aus allen Fenstern flatterten schon Fahnen oder lange weiße Handtücher.
     
    Emil hatte seine Fenster mit rotkarierten Küchentüchern drapiert.
     
    Die Putzmacherin Hünlich ließ blaue, rote und gelbe Hutbänder aus ihren Fenstern flattern. Die Enden waren mit künstlichen Blumen besteckt.
     
    In fast allen Fenstern standen die kleinen Streichholzschachteln mit den schmalen farbigen Wachslichtern.
     
    »Aber wenn die Illumination beginnt, müssen die Fahnen und all das Flatterratatterzeug weg. Nicht daß wir dann eine Feuersbrunst kriegen«, befahl der Portier.
     
    Erwin: »Klar, da wird rechtzeitig dafür gesorgt.«
     
    Herr Biedermann aus dem Erdgeschoß montierte sein Radio auf das Fensterbrett. »Ich stifte die Tanzmusik, frei und gratis«, erzählte er allen.
     
    Andere schleppten ihre Grammophone herbei. Falls das Radio versagte. Zwei Straßenhändler erschienen. Sie baten den Portier, ob sie nicht im Flur Aufstellung nehmen dürften. Sie wollten Makronen und Zuckerstangen verkaufen. Auch ein Mann mit einem Brauselimonadekarren bot sich an. Sie verhandelten lange mit den Händlern, und nachdem sie sich bereit erklärt hatten, Standgeld in die Gemeinschaftskasse zu zahlen, wurde ihnen eine Ecke angewiesen. Auch ein fremder Eismann und eine Blumenverkäuferin fanden sich ein.
     
    Aber der Portier sagte: »Nee, wat zuviel is, is zuviel. Hier is doch kein öffentlicher Jahrmarkt. Det is ein Familienfest. Schert euch zum Teifel.«
     
    Aber Erwin ging der Blumenverkäuferin nach. Sie sollte sich — so meinte er — auf der Straße vor dem Haus aufstellen und in der Nähe bleiben, falls doch ein Tänzer Blumen für seine Dame wünschte.
     
    Die Blumenverkäuferin zeigte ihm ihre schönen Veilchen- und Maiglöckchensträuße und sagte: »Für die Kavaliere.« Sie würde auch einen Teil vom Reinertrag in ihre Kasse stiften.
     
    Niemand wußte, woher die Leute von dem Fest erfahren hatten. Sie kamen aus weit entfernten Straßen.
     
    Zum Abendessen mochte keines der Kinder etwas essen. Jedes versteckte sich in einer anderen Ecke, um sich umzukleiden.
     
    Erwin wurde sogar photographiert und kam in die Zeitung.
     
    »Selbstgebasteltes Maskenkostüm eines Knaben«, stand darunter.
     
    Er hatte aus den alten Rechen- und Schreibheften sorgsam die Seiten gelöst und sich daraus ein langes Kleid geklebt. Ein wenig half Fräulein Holm beim Zuschneiden, damit es eine Form bekam. Sie verstand sich auf solche Sachen. Erwin hatte es so eingerichtet, daß möglichst viele rote Verbesserungen und Zensuren zu sehen waren. Darüber gab es viel zu lachen. Die Gesichtsmaske war aus einem schwarzen Wachstuch geschnitten worden. Über den Augen saßen mandelförmige Löcher, dann kam ein langer Schnitt für die Nase, so daß er diese herausstecken konnte. Fräulein Holm hatte ihm eine lange rote Nase geschenkt, die er überzog, damit er noch schwerer zu erkennen war. Unter der Nase war ein Schnitt für den Mund. Genau auf der Stirn saß ein kleines weißes Schild, auf dem stand: »Schreibheft«. Diese Maske war mit einem Metermaß um den Kopf

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