Die Kinder aus Nr. 67
Der Zauberkünstler hatte eine lustige Art zu reden.
Er hob nun einige Bänder hoch, grüne, blaue und rote und schwenkte sie in der Luft. Die Kinder durften sie betasten, und sie sahen sehr wohl, daß sie unzerschnitten und ungeflickt waren.
Aber dann nahm der Zauberer eine Schere und zerschnippelte die schönen Bänder in lauter kleine Fetzen, kreuz und quer. Er winkte Mirjam zu sich heran und steckte ihr die kleinen Fetzen vor aller Augen sichtbar in die Tasche. Sie sahen es ganz genau. Zum Schluß legte er noch seine Hand darüber und bat: »Nun halte fest zu, damit sie nicht herausfliegen.«
Dann drehte er sich herum, wirbelte seine Hände durch die Luft, murmelte unverständliche Worte, spuckte in die Hände und zog aus Mirjams Tasche wieder die unzerschnittenen Bänder.
Soviel merkten die Kinder schon aus diesen wenigen Proben: ihr Fest mit dem Zauberer als Mittelpunkt würde großartig werden.
»Ja, machen wir ein Programm«, rief nun auch Herr Barretta, »machen wir ein ganz neues, einmaliges Programm. Etwas noch nie Dagewesenes. Ich werde euch verschwinden lassen, fliegen lassen, zersägen.«
Lucie und Mirjam zuckten zusammen. »Ach, bitte nichts, was weh tut.«
Aber Erwin und Paul waren ganz begeistert. »Feste, riefen sie, »immer feste. Natürlich machen wir alle mit.« Erwin entblößte seinen Unterarm. »Los, probieren Sie doch schon mal zu sägen.«
Der Zauberkünstler sah ihn forschend an. »No paura?« fragte er, »keine Angst?«
»I wo, det is doch bloß allens Trick. Den andern verraten wir det natürlich nich. Ehrenwort, wir schweigen. Die sollen staunen.«
»Großes Ehrenwort«, brüllten alle. »Wir schweigen.«
Barretta: »Also gut. Kommt morgen.« Er dachte nach. »Um drei Uhr. Dann beginnen wir das Programm. Wir werden dann eine Jongleurnummer einüben.«
»Haben Sie bestimmt keinen Jahrmarkt inzwischen, und werden Sie nicht wegfahren?« fragte Mirjam.
»Niente, mia piccola amica.« Er sah sie freundlich an.
»Was heißt denn det immer«, fragte Erwin. »Sie sagen so oft wat, wat man nich versteht.«
»Nichts, meine kleine Freundin«, übersetzte der Zauberkünstler.
Die Kinder gingen.
Draußen sagte Erwin: »Der hat's mit der Mirjam. Die gefällt ihm.«
Emil: »Vielleicht denkt er, sie sei aus Italien oder Spanien, weil sie auch ein bißchen fremdländisch aussieht.«
Lucie: »Er wird sie aber doch nicht etwa verzaubern und dann ist sie plötzlich weg?«
Erwin: »Ach, Quatsch. So was gibt's ja gar nicht.«
Mirjam jedoch fühlte sich nicht recht behaglich. Obwohl sie Erwin, mit dem sie sich doch so gut verstand, daß sie längst beschlossen hatte, ihn später zu heiraten, sehr gern glauben wollte.
»Wenn er es nun doch macht?« fragte sie unsicher.
Erwin legte den Arm schützend um sie. »Dann befrei' ich dich, da ich doch dein Freund bin.«
Mirjam sah ihn dankbar an, und Erwin dachte daran, daß er sie ja schon einmal befreien mußte, damals bei dem Streit um Piddel.
Von diesem Tag an probten sie jeden Tag im zweiten Hinterhaus bei dem Zauberkünstler die seltsamsten Dinge. Sie verrieten kein Wort von dem, was da alles geschehen sollte. Aber sie kamen jedesmal angeregter von dort zurück und die andern hörten nur noch Worte wie »fabelhaft!« — »Prima!« — »Donnerwetter!« — »Toll!« — »Allerhand!« —»Ihr könnt euch überhaupt nichts vorstellen. Es wird eine ganz ganz große Überraschung.«
Sogar Piddel mußte mitspielen und neue Kunststücke lernen, unter Anleitung des Signor Barretta.
Battista Barretta, der sonst immer geduckt und rasch über den Hof eilte und mit niemandem im Haus sprach, ging nun langsam und blieb auch bei den andern Hausbewohnern stehen. Die Kinder machten tiefe Verbeugungen und riefen von weitem schon: »Der Herr Barretta! Guten Tag, Herr Barretta!«
Auch er gehörte jetzt mit in die große Gemeinschaft, die sie geworden waren.
Als Mirjam feststellte, daß Herr Barretta immer nur schwarzen Kaffee trank, sogar ohne Milch, niemals ordentlich zu Mittag kochte, schickte ihm nun das einemal Frau Manasse und das anderemal Frau Brackmann die Reste vom eigenen Essen mit den Kindern ins Hinterhaus.
Herr Barretta stellte diese Reste erfreut in seine Küche, sie enthielt nur einen Petroleumkocher, der auf einer verrosteten Kiste stand, und zwei alte Näpfe, die ehemals Konservenbüchsen waren.
Das Fest
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