Die Kinder der Elefantenhüter
igittigitt!«, sagt er, »der Schwarze Henrik! Was macht denn der in der alten Schlosskirche?«
Tilte legt ihm die Hand auf den Arm.
»Rickardt«, sagt sie, »warum der ›Schwarze Henrik‹? Er hat doch ganz helle Haare.«
Graf Rickardts Blick wird fern.
»Wegen der Handschuhe«, sagt er. »Die waren schwarz.«
Wir sind am Tisch zusammengerückt, Rickardt versucht, sich zu sammeln, die Pilze der Kobolde erleichtern es nicht gerade. Ich lasse meinen Blick über den Kongens Nytorv schweifen. Der rote Doppeldecker steht immer noch allein da, aber das ist ein Schicksal, mit dem viele von uns leben müssen. Die gelben Stadtbusse hingegen sind everybody’s darling . Zwischen den abgestellten Autos parkt ein schwarzer Lieferwagen mit getönten Scheiben. Die beiden ersten Buchstaben seines Kennzeichens lauten TH, dann folgen die Ziffern 5017.
Was denn, das ist natürlich Zufall, wir leben in einem freien Land, erst hält er am Nikolaj Plads, jetzt hält er eben hier. Trotzdem ist es einer dieser Zufälle, denen man Beachtung schenkt.
»Es muss mehr als zwanzig Jahre her sein«, sagt Graf Rickardt, »wir waren eine Bande aufgeweckter Jungs und Mädels rund um Filthøj. Ich war der natürliche Mittelpunkt. Ach ja, es war die goldene Kinderzeit, aber die Jahre vergehen, plötzlich sind alle in alle Winde zerstreut, dieeinen sind verheiratet, die andern unter strafrechtlicher Aufsicht oder im Jugendwerkhof oder in der Resozialisierung, oder sie verbüßen ihre erste Strafe. Henrik brachte frischen Wind in die Gruppe. Damals hieß er der ›Heilige Henrik‹, er hatte Eltern, die sehr gläubig waren. Dann vergehen zehn Jahre, in denen wir uns nicht sehen. Und dann bin ich Weihnachten zu Hause, und im Schloss gibt es eine Rattenplage. Eine Invasion. Wir rufen die Schädlingsbekämpfung an. Und wer steht im Hof: Henrik. Es gibt ein herzliches Wiedersehen. Jetzt hat er seine eigene Firma. Ein Heer von Mitarbeitern. Aber weil es sich um den Spielplatz seiner Kindertage handelt, den die Ratten belagern, wollte er sich selber drum kümmern. Aus Nostalgiegründen. Also hole ich mir einen Stuhl in den Hof, zwischen die Wirtschaftsgebäude, und stecke mir eine Zigarre an, um den Anblick eines früheren Spielkameraden bei der Arbeit zu genießen. Henrik geht langsam im Hof herum, der ja groß ist, fünfzig mal fünfzig Meter, er hat einen Koffer mit Gummipfropfen in verschiedenen Größen dabei, wie man sie im Labor benutzt. Immer wenn er ein Loch findet, steckt er einen Pfropfen hinein, der passt. Er findet ungefähr fünfzig Löcher, dafür braucht er eine Stunde. Er hat nur die eine Runde gemacht, aber ich weiß, dass er sie alle gefunden hat. Ein Loch lässt er offen. In dem bringt er eine Gaspatrone an, so was, mit dem man früher Maulwürfe vergaste. Ist heute verboten. Was ich nur begrüße. Wir sollen gut zu Tieren sein. Er zündet die Patrone an, dann überquert er den Hof und kniet sich an einem anderen Loch hin. Dann zieht er die Handschuhe über, dünne schwarze Gummihandschuhe, um einen festeren Griff zu haben. Dann zieht er den Pfropfen aus dem Loch. Es vergeht vielleicht eine Minute, dann kommt die erste Ratte.Henrik packt sie, es ist im Grunde eine ruhige Bewegung, aber schnell, dann bricht er ihr den Nacken. Dasselbe passiert der nächsten. Und der nächsten. Und der nächsten. Die toten legt er neben sich auf einen Haufen. Der Haufen wird immer größer. Anfangs kommen die Ratten in Abständen. Aber am Ende kommen sie am laufenden Band. Trotzdem entwischt ihm keine einzige. Und keine einzige schafft es, ihn zu beißen. Schließlich liegen da hundertachtundzwanzig Ratten auf dem Haufen. Wir haben sie zählen lassen, ehe sie verbrannt wurden. Dann steht Henrik auf. Zieht die Handschuhe aus. Und spricht ein kurzes Gebet. Das ist ein Anblick, der einem im Gedächtnis bleibt. Das weißblonde Haar, die gefalteten Hände. Das Gebet. Und daneben der Haufen toter Ratten.«
Graf Rickardt war ganz in die Zeit seiner glücklichen Kindheit abgetaucht. Jetzt kehrt er ins d’Angleterre zurück.
»Ich hab ihn dann noch einmal gesehen. Bei einem meiner festen Lieferanten. Er muss irgendwie in Zahlungsverzug geraten sein, der Lieferant, mein’ ich. Denn jetzt war Henrik bei ihm. Ich kroch unter ein Sofa, deswegen sah er mich nicht. Jetzt hat er mit Inkasso gearbeitet. Hat in ganz Kopenhagen operiert, für Rocker, Ausländergruppen, die polnische Mafia, dänische Unternehmen. Er war nicht kleinlich, es wurde an nichts
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