Die Kinder der Elefantenhüter
zweitklassiger Mannschaften durchscheinen zu lassen.
Das Vornehme ist von ihm abgefallen, vor mir stehen die Ansätze eines Kumpels.
»Finkeblod«, sage ich, »zu dem du gerade hochfährst, um ihm die Suppe zu servieren, ist mein Lieblingsonkel. Heute ist sein Geburtstag, wir erlauben uns einen Joke mit ihm, deshalb das Werkzeug. Er hat einen phantastischen Humor. Es könnte ein unvergesslicher Tag für ihn werden, wenn du mir deine Jacke leihen und mir vier Minuten geben würdest, damit ich ihn bedienen kann.«
Ich ziehe einen Fünfhunderter vom Haushaltsgeld aus der Tasche. Und halte ihn ins Licht.
»Er wird fünfzig«, sage ich. »Und ist die Liebenswürdigkeit in Person.«
Er zieht die Dienerjacke aus, ich ziehe sie an, dann setze ich Aschantis Sonnenbrille auf. Die Spiegel im Aufzug erzählen mir, dass sogar meine eigene Mutter zweimal gucken müsste, um mich zu erkennen.
Der Junge gibt mir die Hand.
»Max«, sagt er, »beim Akademisk Boldklub heiße ich ›Macht’n-rein-Max‹.«
»Peter«, sage ich. »Kommt aus dem Griechischen und heißt ›Fels‹. Auf Finø sagt man immer, ich sei der Fels, auf den die Finø AllStars bauen.«
Dann klopfe ich an, stoße die Tür auf und schiebe den Tisch hinein.
Es muss eine Hochzeitssuite sein, in die ich hier komme. Jedenfalls hätte ich nichts dagegen einzuwenden, hier meine Hochzeitsnacht zu verbringen – wenn ich mein Leben nicht den Erinnerungen geweiht hätte.
Die Suite besteht aus zwei großen Zimmern, deren Fenster auf den Kongens Nytorv zeigen und deren Komfort den der Weißen Dame herausfordert.
An einem Tisch sitzen Anaflabia Borderrud und Frau Thorlacius-Drøbert, hinter ihnen steht der große Hirnspezialist.
Keiner von ihnen schaut zu mir herüber. Das liegt teils daran, dass das Personal an vornehmen Orten gleichsam unsichtbar ist und mit der Tapete verschmilzt, und teils daran, dass ihre Aufmerksamkeit vom Essen gefesselt ist, sie scheinen fast hypnotisiert, und man versteht warum. Vermutlich haben sie den ganzen Tag nichts gegessen, denn heute früh im Schiffsrestaurant kriegten sie keinen Bissen, weil sie dann gleich in die Kampfhandlungen einbezogen und in Ketten gelegt worden waren. Und nun ist es ihnen gelungen, stiften zu gehen, in Handschellen, das muss Kalorien gekostet haben.
Es ist unübersehbar, dass sie nicht einfach nur hungern. Sie schmachten.
Sie sind sogar erschüttert, man sieht es an der Art, wie sie ihre Handschellen verbergen. Versteht man auch. Der Gedanke nötigt einem Mitgefühl und Respekt ab,dass es ihnen gelungen sein muss, Lars und Katinka zu entkommen und zum d’Angleterre zu gelangen, ohne festgenommen zu werden, das sagt etwas darüber aus, was Wissenschaft und Religion bewirken können, wenn sie sich verbrüdern.
Als ich anfange, das Essen anzurichten, klingelt das Telefon. Thorkild Thorlacius nimmt ab, einfach ist das nicht, weil er doch die Hände auf dem Rücken hat, seine Frau muss ihm den Hörer halten. Ich erkenne die Stimme der Empfangsdame, sie kündigt Albert Wiinglad an.
Man kann einiges über einen Menschen erfahren, wenn man beobachtet, wie viel Durcheinander er durch den Telefonhörer hindurch anrichten kann. Als Thorkild Thorlacius-Drøbert die Stimme am anderen Ende hört, versucht er Haltung anzunehmen, als wäre er auf frischer Tat beim Stehlen von getrockneten Klieschen erwischt worden.
»Ah ja«, murmelt er, »jawohl. Freut mich. Wir sind im d’Angleterre . Ja, ich weiß, wir werden gesucht. Ja, ich weiß, schon zum zweiten Mal. Aber auch diesmal liegt es an der Inkompetenz der Polizei. Wir haben uns überlegt, eine Klage anzustrengen. Wir erwarten, dass die beiden Kommissare suspendiert und wegen Amtsmissbrauchs angeklagt werden.«
Unten vor dem Hotel fahren zwei Polizeiwagen mit Blaulicht vorbei. Der Lärm und vielleicht ein beginnender Verfolgungswahn in Bezug auf uniformierte Beamte lässt Thorkild Thorlacius verstummen. Mir fällt die große Zahl von Polizisten am Kongens Nytorv auf. Und ich spüre den Stolz und die Anspannung, die wegen der bevorstehenden Konferenz über Kopenhagen liegen, die Stadt scheint zu vibrieren.
Gleichzeitig spüre oder richtiger: höre ich noch etwasanderes, einerseits banal, andererseits so überraschend, dass ich es zuerst gar nicht verstehe. Das Sirenengeheul, das durch die Suite wogt und Thorlacius in seinem Klagegesang unterbrochen hat, kommt nicht nur von draußen, sondern auch aus dem Telefonhörer, den seine Frau in der Hand hält.
Der Lärm
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