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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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herumzustehen und sich bedeckt zu halten.
    Ich ziehe die Bauchbinde von Graf Rickardts Zigarre aus der Tasche.
    Sie ist golden. Mit der roten Strichzeichnung einer Frau im Profil. Auf dem Kopf trägt sie einen antiken griechischen Helm. Darunter steht: Pallas Athene. Abakosh . Und eine Telefonnummer. Und eine Adresse am Gammel Strand. Ich hole das Blatt Papier hervor, das ich in dem Geheimraum in unserm Keller fand, und halte es den anderen hin, um ihnen zu zeigen, was Mutter mit Bleistift an den Rand geschrieben hat: [email protected] .
    Ich strecke Tilte die Hand entgegen.
    »Katinkas Handy«, sage ich knapp.
    Ich wähle die Nummer von der Bauchbinde. Stelle das Telefon auf laut.
    Es ist schwer, genau zu erklären, was in mir vorgeht. Aber wenn du Fußball spielst, weißt du vielleicht noch, dass man es irgendwann wagt, zum ersten Mal den Gegner abzuschütteln und allein durchzustarten. Für mich kam dieser Zeitpunkt mitten in meiner ersten Saison in der ersten Mannschaft. Es war einer dieser magischen Momente, von denen ich dir erzählt habe. Von hinten kam ein langer Ball, unser Mittelfeld hatte sich in die Abwehr zurückgezogen, ich hatte keine Unterstützung, trotzdem wusste ich, jetzt musste ich los. Es war keine logische Empfindung, es gab keine Möglichkeit nachzudenken, alles, was ich spürte, war, dass die Tür sich langsam auftat. Ich holte den Ball herunter wie einen kleinen Kanarienvogel, der sich auf den Spann setzt, dann bin ich an zwei Verteidigern vorbei, die mich erst angeguckt hatten, als könnten sie mich mit der Fliegenklatsche unschädlich machen, dann hab ich den Torwart umkurvt und bin mit dem Ball bis ins Tor gelaufen. Erst da verstand ich, dass etwas passiert war, dass ich durch eine Tür gegangen war. Noch nicht durch die richtige, denn die führt in die Freiheit, aber in ein Entree, einen Vorraum zur echten Freiheit.
    So einen Moment erlebe ich hier im Auto. Ich merke, dass ich das hier selber packen kann.
    »Abakosh.«
    Es ist die Stimme einer Frau, eine Stimme, die auf jeden Fall zweierlei besitzt: ein Geheimnis und das Know-how, anderen Leuten das Verlangen einzuflüstern, dieses Geheimnis zu ergründen.
    »Peter hier«, sage ich. »Ich möchte mit Pallas Athene sprechen.«
    »Hast du ein Passwort, Süßer?«
    Ich sehe auf Mutters Zettel.
    »Brahmacharya«, sage ich.
    Schweigen im Hörer. Dann kommt die Stimme wieder.
    »Es tut mir furchtbar leid. Aber Pallas Athene ist beschäftigt. Wie wäre es mit einer der anderen Göttinnen?«
    Ich dribble im Dunkeln. Aber ich fühle, ich bin der Sache auf der Spur.
    »Ich möchte sie«, sage ich. »Wir haben eine Verabredung.«
    Wieder Schweigen. Aber ich höre ihre Finger über die Tastatur laufen.
    »Kannst du in einer Viertelstunde hier sein?«
    »Kein Thema.«
    »Aber sie hat nur zwanzig Minuten.«
    »Zwanzig Minuten mit einer Göttin«, sage ich. »Das kann eine Ewigkeit mit einer Normalsterblichen aufwiegen. Das würdest du doch auch sagen?«
    Getroffen, ich habe die professionelle Distanz aufgebrochen, sie kichert.
    »Unbedingt«, sagt sie. »Sollen wir einen Wagen schicken?«
    »Mein Fahrer hat eben den Benz am Kongens Nytorv geparkt.«
    »Soll ich eine Flasche Champagner aufmachen?«
    Die anderen im Auto starren mich an. Ich lese Verwunderung in ihren Gesichtern. Wahrscheinlich können sie auch die Verwunderung in meinem lesen.
    »Sehr gerne«, sage ich. »Wenn du sie selber trinkst. Für mich bitte etwas Alkoholfreies. Die Freiluftsaison hat angefangen. Meine Formkurve muss in zwei Wochen ihren Höhepunkt erreicht haben. Und auf dem Höhepunkt bleiben. Ich lebe wie ein Mönch.«
    »Wir freuen uns, dich bei uns zu begrüßen«, sagt sie.
    Wir legen auf. Ich öffne die Autotür.
    »Wir gehen mit«, sagt Hans.
    Ich schüttele den Kopf.
    »Du musst mit den Schwiegereltern sprechen, Hansemann. An sich schon ein Stück Arbeit.«
    »Du bist erst vierzehn«, sagt Hans.
    Ich richte mich auf.
    »Irgendwann kommt die Zeit«, sage ich, »wo ein Mann seinen eigenen Weg gehen muss.«

 
    Ich habe nie das System verstanden, das hinter den Kopenhagener Straßennamen steckt. Es heißt Blågårds Plads, doch ein blauer Hof, ein »blå gård«, ist nirgendwo zu entdecken. Es heißt Kongens Nytorv, aber auf dem Königlichen Neumarkt gibt es keinen König, und der Markt ist nicht neu. Und es heißt Gammel Strand, aber von einem Strand keine Spur, und vielleicht waren die Häuser einst »gammel«, also alt, aber dann haben sie jedenfalls ein Lifting

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