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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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berührt mich nicht, das braucht er auch nicht, er tritt bloß ein wenig näher, das reicht, damit ich vom Stuhl aufspringe. Die Frau öffnet eine Tür auf der anderen Seite des Raums.
    Die sogenannte Hintertreppe ist von einer Klasse, dass nur wenige Menschen davon träumen dürfen, etwas Derartiges vor ihrer Vordertür zu haben. Als wir auf dem Absatz stehen, räuspert sich die Frau.
    »Seit wann sind deine Eltern weg?«
    »Seit vier Tagen.«
    Andrik und ich steigen die Treppe hinab, sie räuspert sich noch einmal.
    »Andrik. Es ist ein Kind.«
    Der Mann nickt. Ich meine, eine schwache Enttäuschung bei ihm wahrzunehmen.
     
    Wir überqueren einen Hofplatz mit Palmen in großen Kübeln und einem roten Vintage-Jaguar. Andrik muss eine Fernbedienung haben, denn ein Doppeltor gleitet zur Seite, wir stehen in einer Gasse, Andrik sieht nach rechts und links, die Gasse ist menschenleer. Er packt mich am Oberarm und drückt zu.
    »Du bist also eine Heulsuse«, sagt er.
    Da irrt er sich. Die kleine Träne, die ich möglicherweise im Augenwinkel habe, ist Ausdruck meiner Trauer über die Rache, die ich in nächster Zukunft zu nehmen gezwungen bin, weil er so fest zudrückt.
    »Ich glaube, das war das erste und letzte Mal, dass du hier aufkreuzt«, sagt er. »Kapiert?«
    »Und wie«, sage ich. »Aber warum dürfen die das dann?«
    Ich schaue in das Tordunkel, aus dem wir eben gekommen sind.
    Es ist der älteste Trick der Welt. Aber auch einer der besten. Richtig verwendet, ist er eine edle Illustration dessen, worin sich alle großen Mystiker, wie Tiltes und meine Studien zeigen, rührend einig sind: dass Worte die Wirklichkeit erschaffen.
    Außerdem ist es die Grundlage der aus Hand- und Fußball bekannten Aufräumer-Finte. Du guckst zur einen Seite. Und umkurvst den Gegner auf der andern.
    Andrik ist blitzschnell, das muss man ihm lassen. Er wirbeltherum und starrt ins Dunkel, um zu sehen, wer da eingedrungen ist. Und er ist geistesgegenwärtig, den Griff um meinen Arm lockert er nicht.
    Aber das reicht nicht. Die Situation ist ihm entglitten.
    Ich befreie mich, wie so oft, wenn ich zwischen drei Verteidigern eingeklemmt bin, die an jedem Tag der Woche eine Arbeit als Straßenwalze hätten finden können. Ich drehe eine Pirouette auf dem linken Fuß und trete ihm mit Schmackes in den Hintern.
    Er ist ein durchtrainierter Mann, seine Pobacken sind wie Fußbälle, fest und elastisch. Ich treffe sie mit gestrecktem Spann.
    Für den Fall, dass du mit den feineren Details des Fußballs nicht vertraut sein solltest, kann ich dir sagen, dass ein kräftiger Tritt oder Stoß nicht aus dem Bein kommt, sondern aus den tiefen Bauchmuskeln. Wenn er am besten gelingt, fungiert das Bein wie eine Achse, und meiner hier gehört zu den besten. Mein Körper liegt hinten, und ich treffe sehr sauber, Andrik fliegt vier Meter weit ins Dunkel der Einfahrt, aus dem er kam, und landet auf der Nase.
    Ich werfe ihm das weiße Handtuch hin, das noch über meiner Schulter hängt.
    »Andrik, was würdest du sagen, wenn wir den Versuch machten, ans Mitgefühl zu denken? Damit das hier nicht eskaliert.«
    Ich kriege keine Antwort, hatte ich auch nicht mit gerechnet. Denn selbstredend ist er aufgesprungen und schon hinter mir her.
    Sein Sprint ist nicht übel. Aber er treibt sich zwischen Marmorwannen und Champagnerflaschen herum und nicht auf Finøs Rasenflächen, und sein Hintern hat sich nochnicht einmal ansatzweise erholt, das heißt, schon am Højbros Plads habe ich ihn abgeschüttelt.
    Trotzdem renne ich weiter. Ein Typ wie Andrik könnte durchaus auf die Idee kommen, sich in seinen dicken BMW zu werfen und mit Schaum vorm Mund in der Innenstadt rumzurasen, bis er mich gefunden hätte. Ich springe wie eine Antilope, nach Gefühl, was soll man sonst auch machen in einer Stadt, die man nicht kennt, und laufe durch die schmalen Straßen parallel zum Strøget bis zum Kongens Nytorv, wo ich zwischen den geparkten Autos vorm Nyhavn untertauche.
     
    Dort komme ich an dem roten Doppeldeckerbus vorbei und erhasche einen Blick auf den Fahrer.
    Der Fahrer sieht mich nicht, weil er die Frau küsst, die schräg hinter ihm sitzt. Und das ist nicht nur ein Küsschen auf die Wange, sondern einer dieser Küsse, bei denen alles um das Liebespaar herum verschwindet. Das Einzige, was am Ende übrig bleibt, sind fallende Blütenblätter und gaukelnde Schmetterlinge und Geigen, die vor Freude weinen.
    Mir bleibt also Zeit, mich zu vergewissern. Kein Zweifel, es ist

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