Die Kinder der Elefantenhüter
nächsten hinausträgt und die Mülltüte dabei unten festhält, in Gefahr schwebt, sich die Pulsader aufzuschneiden.
Ganz ehrlich, jetzt packt mich ein eisiger Schreck.
Weil ich eine Sekunde lang Probleme habe, mich zu sammeln, gehe ich zum Bett zurück, um das Stückchen Karton aufzuheben. Dafür muss ich das vorderste Bild verschieben, es ist ein Foto, ich hebe den Karton auf und stelle das Foto zurück.
Aber dann nehme ich es wieder in die Hand, drehe es um und sehe es mir genauer an. Es zeigt einen Jungen in Fußballstiefeln, es muss am Ende eines Regenspiels gewesen sein, denn er hat augenscheinlich etliche Schlammbäder genommen.
Auf seinem Trikot steht: Finø AllStars .
Der Junge bin ich.
Ich weiß nicht, wer den Kosmos eingerichtet hat. Aber manchmal sehnt man sich doch nach etwas allgemeiner Rücksicht. Als müsste ich nicht an genug andere Dinge denken.
Das Bild hat mein Bruder Hans aufgenommen, es war nach meinem ersten Match für die Finø AllStars , in dem ich ein derart glückliches Tor schoss, dass man sich fast dafür schämen müsste, aber im Fußball zählt nun mal alles, auch der Finø-Dusel.
Von dem Foto existieren nur zwei Abzüge. Den einen habe ich. Den anderen habe ich Conny geschenkt.
Ich sehe mir die eingerahmten Bilder einzeln an. Es sind Filmplakate darunter. Plakate für das Abschlussballett von Ifigenia Bruhns Tanzinstitut am Finø Torv. Dann ist da noch ein Bilderrahmen mit Fotos von Kindern.
Ich kenne die Kinder. Es sind Smilla, Filla und Mandrilla, die drei Töchter von Connys Schwester.
Ich gehe ans Fenster, um mich wenigstens ein bisschen zu bewegen und die Unruhe zirkulieren zu lassen.
Manche hätten in einem solchen Moment Energie genug, um sich an den gemeinsamen Rat der großen Mystiker zu erinnern und innerlich nach der Tür zu schauen, vielleicht hättest du die Energie, ich nicht. Mir ist nur schwindlig. Wenn es etwas gibt, das in dieser unsicheren Lage sicher ist, dann die Tatsache, dass ich mich hier in Connys Wohnung befinde.
Ich sehe blind vor mich hin. Obwohl, ganz blind auch wieder nicht, denn ich sehe ein Auto, das in die Einfahrt zur Tiefgarage fährt.
Es ist ein roter Vintage-Jaguar.
Es ist selbstverständlich undenkbar, dass es derselbe ist, den ich vor ein paar Minuten in Pallas Athenes Hof gesehen habe.
Auf dem Fensterbrett vor mir steht ein Telefon. Ich nehme den Hörer ab.
Ich rufe die Auskunft an, gebe dem Fräulein die Privatnummer aus Pallas Athenes Kalender und bitte um die Adresse.
»Das ist doch Ihre eigene«, sagt das Fräulein.
Dann korrigiert sie sich.
»Nein, Entschuldigung. Es ist die Etage darunter. Die Nummer ist im vierten Stock registriert.«
Ich muss mich am Fensterbrett abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
»Haben Sie einen Namen?«
»Maria. Maria und Josef Andrik Fiebelbitsel.«
»Haben Sie nicht auch noch einen kleinen Jesus Fiebelbitsel?«
»Den finde ich hier nicht«, sagt sie.
Wir legen auf.
So allein in der Wohnung stehend weiß ich, dass Tilte entführt wurde. Und dass es mit unserem Besuch bei Bellerad Shipping zu tun hat. Sie müssen uns von dort gefolgt sein.
Der Gedanke löst etwas in mir aus, etwas, das sehr selten geschieht und bisher nur auf dem Fußballplatz. Es stellt sich das Gefühl ein, dass mich beim nächsten Sprint keiner mehr aufhalten kann, und sollten mir dabei zwei, drei Wohnungen in den Weg kommen, wäre es traurig, weil dann nur noch Mauerbrocken und obdachlose Mieter zurückblieben.
Ich erlebe das nicht, als wäre ich es, der die Fäden zieht. Es kommt von außen zu mir, aus dem Raum über dem Hafen.
Ich warte nicht auf Hans. Ich gehe aus der Tür, eine Etage tiefer, und klingele.
Es ist Andrik, der aufmacht. Die kurze Zeit seit unserer Trennung hat ihm zum Duschen gereicht, sein Haar ist noch nass. Er hat es offensichtlich auch geschafft, die Töchterchen aus dem Kindergarten abzuholen, sie haben sich zu beiden Seiten an ihm festgekeilt, blonde Zwillinge von etwa drei Jahren.
Aber um meinen Pferdetritt zu verdauen, dazu hat die Zeit natürlich nicht gereicht, man sieht es an seiner leicht gequälten Haltung. Und am schmerzlichen Ausdruck um seine Augen herum. Ein Ausdruck, der bei meinem Anblick einer Verwunderung weicht, als fiele er aus allen Wolken, obwohl es das nicht ganz trifft. Ein echter Schock ist es aber auch nicht, vielleicht liegt es irgendwo dazwischen.
»Ich möchte gern mit Maria sprechen«, sage ich.
Pallas Athene erscheint, schräg hinter
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