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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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mich nämlich in der Regel auf die Tür hinweisen.
    Ein paar Sekunden lang stehen wir da, ohne uns zu rühren. Und lauschen der Stille. Obwohl sie ja keinen Ton von sich gibt. Es ist wie mit der glücklichen Kindheit. Sobald man daran denkt, geht sie verloren. Man soll nur lauschen. Auf das, was kein Geräusch macht.
    Die Stille währt nur einen Augenblick. Dann wird sie von einem begeisterten Ausruf unterbrochen.
    »Tilte, mein Glockenblümchen! Und das Peterchen – wie immer zum Anbeißen, ihr seht prachtvoll aus!«
    Wir drehen uns um.
    »Rickardt«, sagt Tilte. »Du siehst aus wie ein Stricher aus Milano!«
    Womit Tilte den Grafen auf den Kopf trifft.

 
    Rickardt Graf Tre Løver trägt hochhackige Cowboystiefel aus echter Schlangenhaut und ist in eine gelbe Lederhose gewandet, die wie die Schale um die Banane sitzt, dazu trägt er ein schneeweißes Hemd, das bis zum Nabel offen steht. Es lässt eine Goldkette sehen und einen derart schmalen, mageren Körper, als hätte der Graf vor Jahren den Appetit verloren und nicht mehr wiedergefunden.
    Was genau der Fall ist. Als wir Rickardt Tre Løver kennenlernten, war er auf Heroinentzug, die Droge hatte ihm den Appetit geraubt. Es muss wie die große Liebe sein, wer so etwas Gutes wie Heroin gefunden hat, vergeudet seine Zeit nicht mit Kinkerlitzchen wie beispielsweise Hunger.
    Den Entzug hat er hinter sich, er ließ sich zum Drogentherapeuten ausbilden. Er hat dann das ganze Heim gekauft und ist in die Leitung eingetreten. Das war möglich, weil alle Drogentherapiezentren in Dänemark privat sind und weil er ein richtiger Graf ist, der mehr Geld geerbt hat, als es für einen ehemaligen Süchtigen normalerweise gesund ist.
    Die Erbschaft ermöglichte es ihm auch, seinen Kleidergeschmack zu pflegen und vom Bizarren zum Ausgeflippten zu entwickeln. Heute zum Beispiel trägt er einen Kopfschmuck, der sogar für ihn hart an der Grenze ist. Es ist eine Badekappe, in die eine Menge kleiner Löcher geschnittenwurde. Aus den Löchern ragen Haarsträhnen, zwischen denen grün und rot leuchtende Elektroden sitzen.
    »Wir haben Besuch von einem Hirnforscher«, sagt er. »Wir stecken mitten in einem Experiment. Mein Gehirn hat natürlich allergrößtes Interesse geweckt.«
     
    Wir lernten den Grafen kennen, kurz nachdem Vater und Mutter mit dem Maserati und dem Minkpelz nach Hause gekommen waren.
    Nach all den Jahren, in denen wir einmal wöchentlich Grütze und zweimal Fisch bekamen, der auf Finø alles in allem gratis ist, traten wir in eine Phase ein, in der auf dem Pfarrhof Milch und Honig flossen. An meinem Geburtstag fand ich fünf Tausendkronenscheine auf dem Tisch, Tilte und Hans übrigens auch, damit sie nicht neidisch wurden, und dann setzten wir uns auf Svumpukkels Terrasse und schlürften Geburtstagsschokolade. Als wir wieder nach Hause kamen, war das Geld weg.
    Sämtliche Türen und Fenster waren verschlossen, keine Spur von Zerstörung, aber das Geld war unauffindbar.
    Die Ordnung im eigenen Zimmer ist bei jedem Menschen verschieden. Bei meinem älteren Bruder Hans herrscht die große kosmische Unordnung, als hätte vor einer Minute der Urknall stattgefunden und alles wäre noch Chaos nach der Katastrophe. Bei Tilte ist es schon viel aufgeräumter, da sie aber einen extravaganten Stil hat und etwa so viele Kleidungsstücke wie ein Theaterfundus und gut fünfzig Paar Schuhe, zwei Schränke mit Make-up und Ohrringen plus einen begehbaren Schrank, an dessen Decke an Schnüren Stangen mit ihren Kleidern und Federboas hängen, wähnt man sich bei ihr wie auf einem Basar in Tausendundeiner Nacht.
    Aber bei mir herrscht Ordnung. Ich will jetzt nichts Böses über die anderen sagen, aber wenn man in eine Familie hineingeboren wird, in der man zusammen mit Basker das einzige normale Wesen ist, muss man einfach strengste Ordnung halten, um seiner selbst willen.
    Ich mag es, wenn die Dinge an ihrem Platz stehen, auf dem Fensterbrett zum Beispiel habe ich die mittelgroßen Trophäen aufgestellt, für den »Spieler des Jahres« und die »Kattegat-Meisterschaft«, und an jenem Tag stand der Pokal für das Sommerturnier des Finø Boldklubs ein klein wenig anders, und es waren Fingerabdrücke darauf, auf frisch geputztem Messing fällt das sofort auf. Im Garten unter dem Fenster lag ein grünes flaches, viereckiges Stück Plastik. Mutter erklärte uns, es sei eine Justierscheibe für das Isolierglas. Sie griff an die Holzleiste, die die Scheibe hielt, und die glitt problemlos weg

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