Die Kinder der Elefantenhüter
die Hand auf den Arm, und ich bin wieder unter den Anwesenden.
Als die Maschine abhebt, beugt sich Tilte zu mir herüber.
»Kennen wir einen, der Wiinglad heißt?«
Ich schüttele den Kopf.
»Das war der, den Bodil vorhin angerufen hat«, flüstert sie. »Ich hab mir die Nummer auf ihrem Handy gemerkt.«
Dann drückt sie meinen Arm, und ich glaube, ich kenne dich mittlerweile gut genug, um ehrlich zu sein und dir den Grund verraten zu können. Sie wollte mich trösten, weil meine Liebste mich verlassen hat.
Nun wirst du vielleicht einwenden, dass daran nichts Besonderes ist, ein Drittel der Menschheit wurde schon verlassen. Die Erdbevölkerung besteht aus dem Drittel, das denen hinterhertrauert, die es verlassen haben, dann dem Drittel, das sich nach jemandem sehnt, den es noch nicht gefunden hat, und schließlich dem Drittel, das jemanden hat, den es nicht mehr liebt und irgendwann verlässt, und der sich dann plötzlich in Gruppe eins wiederfindet.
Mit Conny und mir ist es nicht ganz so. Denn Conny hat mich eigentlich nicht verlassen. Sondern sie ist vom Ruhm aufgesaugt worden.
Vor zwei Jahren sollte auf Finø ein Familienfilm gedreht werden, und da das Mädchen, das die süße, aufgeweckte kleine Schwester spielen sollte, erkrankt war, sprang Conny ein und stahl ihr die Schau, sie bekam noch eine Rolle angeboten, dann drei weitere, in zwei Jahren hat sie sieben Filme gemacht.
Ich kenne Connys Geheimnis, sie kann ihre Ausstrahlung und ihre Energie auf Kommando verdichten.
Alle Menschen können ihre Energie verdichten. Aber den meisten ist das nicht klar, es überrascht sie selbst, als Gefühl der Begeisterung oder als Jähzorn oder als plötzliche Erkenntnis, dass der Torwart auf dem falschen Bein steht – wenn du da deine ganze Seele in den Weitschuss legst, hat der Keeper keine Chance. Aber normalerweise hat man darüber keine Kontrolle. Nur Conny, und das setzt sie im Film ein. In den ersten sechs Streifen spielte sie das kleine Mädchen mit Rattenschwänzchen und einem Funken Vandalismus in den Augen. Im siebten Film spielte sie ein junges Mädchen. Mit einem Freund. Er hieß Anton. Im Film. Und sie sagte seinen Namen so, wie sie normalerweise meinen sagt. Dieses Wie ist unmöglich zu erklären. Aber jedenfalls anders, als sie andere Namen sagt. Ihre AB-Mitteilungen habe ich nie gelöscht und sie mir immer wieder vorgespielt, nur um zu hören, wie sie meinen Namen aussprach.
Bis zu diesem Film. Als ich ihn sah und hörte, dass sie die Art, wie man einen Namen ausspricht, jetzt kontrollieren konnte, war mir klar, dass ich sie verloren hatte. Und dann habe ich ihre telefonischen Nachrichten gelöscht.
Nach dem zweiten Film zog Conny mit ihrer Mutter nach Kopenhagen. Conny und ich haben nie richtig kapiert, was eigentlich passiert ist, der erste Film war für uns noch ein großes Abenteuer, dann kam der zweite, und sie war über alle Berge, das ist jetzt anderthalb Jahre her.
Ich habe sie danach noch einmal gesehen. Eines Tages, als ich aus der Schule kam, wartete sie auf mich. Wir gingen zum Hafen hinunter, das war unsere übliche Tour. Zwischen Strand und Hafenbecken führt eine lange Mole hinaus, dort ist man windgeschützt, und man sieht die Stadt vom Meer aus. Sie hatte sich verändert. Sie hatte eine Tasche, wie man sie in der Werbung sieht, und ein Paar Ohrringe, wie man sie nicht mal in der Werbung sieht. Wir gingen eng nebeneinander, aber es fühlte sich an, als wäre das Hafenbecken zwischen uns, da gab es nichts zu überbrücken. Ich merkte, dass sie los wollte, mir war, als müsste ich sterben. Am Schluss hat sie mit beiden Händen mein Hemd gepackt, heftig gezogen und gesagt: »Peter, ich muss das hier machen.«
Dann war sie weg. Seitdem habe ich sie nicht wieder gesehen. Außer im Kino, auf der Leinwand. Damit ist jetzt auch Schluss. Seit dem letzten Film und dieser Sache mit Anton.
Das weiß Tilte. Sie weiß, was in einem vorgeht, wenn man seine verlorengegangene Liebste auf einem Plakat wiedersieht. Deshalb hat sie mir den Arm gedrückt. Und dann ist das Flugzeug in der Luft.
Ich möchte gerne erklären, wo Finø genau liegt. Finø liegt mitten im Meer der Möglichkeiten.
Wenn man das ganze Liedgut über die Insel sammeln wollte, um es zur Altstoffverwertung zu fahren, was meiner Meinung nach eine lobenswerte Idee wäre, brauchte man einen Lastwagen. Mit Anhänger. Die Lieder stehen mehrheitlich im Gesangbuch der Volkshochschule und zerfallen in zwei Gruppen.
In der
Weitere Kostenlose Bücher