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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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nicht auch sagen, dass Petrus und ich eingesperrt sind wie zwei Industrieschweine? Ohne einen Anwalt gesprochen zu haben und ohne einem Richter vorgeführt worden zu sein.«
    Der Graf schweigt.
    »Und schließlich unser Zimmer«, fährt Tilte unerbittlich fort. »Geräumig, mit Aussicht, wie im feinsten Hotel. Umgeben von guten Freunden. Auf der einen Seite Katinka, die in derselben Maschine saß wie wir. Auf der anderen Seite Lars, der auch mit in der Maschine saß. Lars und Katinka. Findest du nicht, Rickardt, wenn du deine Lebenserfahrung einsetzt, dass die beiden wie Bullen aussehen?«
    »Die bleiben nur zwei, drei Tage«, sagt der Graf.
    Es hat allgemein Verwunderung ausgelöst, dass ein Multimillionär wie der Graf das Heim Store Bjerg gekauft und sich dazu herabgelassen hat, dort zu arbeiten. Aber für Tilte und mich ist das leicht zu verstehen. Es liegt daran, dass die meisten Insassen des Heims ziemlich tiefsinnige Menschen sind.
    Die normalen Dänen, besonders die erwachsenen, aber auch junge, stehen mehrheitlich auf dem Standpunkt, dass von den Demütigungen und Kränkungen, denen sie ausgesetzt sind, das Dasein selbst die schlimmste Demütigung von allen ist. Die Typen vom Store Bjerg denken da anders. Jeder von ihnen wäre beinahe draufgegangen, dasheißt, sie scheinen ein größeres Bewusstsein dafür zu haben, dass man vielleicht, und sei es nur ein einziges Mal im Jahr, ein ganz klein wenig froh darüber sein sollte, am Leben zu sein.
    Dieser Spirit hat den Grafen angezogen, deshalb steht er im Allgemeinen auf der Seite der Patienten, aber in diesem Moment, hier vor Tilte, ist das eine schwierige Seite.
    »Rickardt«, sagt Tilte. »Wir wissen selber, dass Basker ein sehr lebendiger Hund ist. Und Petrus ein unruhiges Kind. Aber hältst du es für nötig, sie mit zwei Zivilbeamten plus Radarüberwachung plus Store Bjerg , der wie einGefangenenlager bewacht wird, an der Kandare zu halten?«
    Der Graf sagt, er habe auch schon daran gedacht.
    Tilte macht, was wir im Finøer Amateurtheaterverein eine Kunstpause nennen.
    »Und denk an die Schlagzeilen.«
    Das hat Tilte von unserer Urgroßmutter bei einer Gelegenheit gelernt, auf die ich noch zurückkommen werde, und man merkt, dass sie immer routinierter wird, es klingt nämlich jetzt noch unheimlicher und unausweichlicher als in Hans’ Wohnheim.
    »›Graf hilft Polizei, Pfarrerskinder ungesetzlich festzuhalten‹ – na, wie hört sich das an, Rickardt?«
    Für den Grafen hört es sich nicht gut an. Süchtige, die entwöhnt wurden und einen Adelstitel, ein Schloss, zwei Güter und fünfhundert Millionen Kronen geerbt haben, sind sehr empfindsam, was ihren guten Namen und ihren Ruf angeht.
    Damit sind wir jetzt zu des Pudels Kern vorgestoßen.
    »Wir brauchen deine Hilfe«, sagt Tilte. »Für einen Freigang sozusagen. Wir müssen nachsehen, ob Vater und Mutter im Pfarrhaus etwas hinterlassen haben.«
    Der Graf ist im Innersten getroffen, in seiner ganzen Existenz, auch seine Stimme ist in Mitleidenschaft gezogen. Ihm bleibt nur noch ein heiseres Flüstern.
    »Ihr habt Besuch«, sagt er.
     
    Wir schreiten über die Terrasse vom Store Bjerg . In der Sonne sitzen die Klienten mit den Bademützen und Kabeln, wir nicken und lächeln ihnen zu und sind zu gut erzogen, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass sie mit einer derartigen Kopfbedeckung aussehen, als gäbe es darunter gar kein Hirn zu messen.
    Genau genommen schreiten nur Tilte, Basker und ich, der Graf nämlich versucht, sich vorwärtszubewegen, seine Hände zu ringen und vor Tilte auf die Knie zu fallen, alles zur gleichen Zeit.
    »Das ist unmöglich«, sagt er. »Darum dürft ihr mich nicht bitten. Ich kann euch nicht hier raushelfen. Ich verscherze mir sämtliche Sympathien.«
    Jetzt trete ich in Aktion. Die Technik haben Tilte und ich entwickelt. Sie ist der Henker, während ich eher so die Krankenschwester mime.
    »Du könntest uns eine kräftige Küchenschere besorgen«, sage ich. »Um die blauen Bänder durchzuschneiden …«
    Der Graf verstummt. Tilte ergreift seine eine Hand, ich die andere.
    »Ihr kommt nie durch das Tor«, sagt er.
    Wir schauen zum Tor hinunter. Und sehen den Schlagbaum, den wachsamen Wachmann, die Videokamera, den Drahtzaun. Ein Anblick, der sogar Houdini mutlos gemacht hätte.
    »Rickardt«, sagt Tilte, »was sagen die Ritter des blauen Strahls noch mal? Das mit der Tür.«
    »›Es gibt keine Tür‹«, zitiert der Graf, »›hör nicht auf zu klopfen.‹«
    Rickardt

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