Die Kinder der Elefantenhüter
Graf Tre Løver leitet Die Ritter des blauen Strahls , eine Loge spirituell Suchender, die er selber begründet hat und die sich jeden Dienstag auf dem Herrenhof Finøholm trifft, wo sich die Mitglieder mit Tarotkarten und Numerologie beschäftigen und durch Lieder und Tänze, die der Graf komponiert hat, den direkten Kontakt mit Verstorbenen suchen. Dabei tragen sie Gewänder, die alle Hirnforschungsbademützen in den Schatten stellen. Aber wer nun meint, eine solche Versammlung unter gräflicher Leitung müsste für die geschlossene Psychiatrie des Finøer Krankenhauses ein Leckerbissen sein, sollte sich lieber in Schweigen hüllen und Zurückhaltung üben, wenn Tilte und ich in der Gegend sind, denn Rickardt ist unser Freund und wie gesagt fast ein Teil der Familie.
»Wie schön«, sagt Tilte, »›keine Tür‹, aber ›hör nicht auf zu klopfen.‹«
Wir helfen uns gegenseitig, den Grafen auf den Beinen zu halten und unsern Optimismus auf ihn übergehen zu lassen. In dieser Stimmung treten wir von der Terrasse in den Salon – und bleiben zunächst wie angewurzelt stehen. Vor uns sitzt eine der ganz großen Herausforderungen für die Hoffnung auf eine lichtere Zukunft der Menschheit: Anaflabia Borderrud, Bischöfin des Bistums Grenå.
Viele wären in dieser Situation wie gelähmt gewesen und hätten kampflos aufgegeben. Wir nicht. Kaum eine Sekunde vergeht, und die Verbindung zwischen Gehirn und Körper ist wiederhergestellt, mit ausgreifenden, wiegenden Schritten nähern wir uns ihrem Tisch.
»Frau Borderrud«, sagt Tilte, »wir freuen uns sehr, Sie zu sehen!«
Anaflabia Borderrud gehört zu den ziemlich raren Personen, die wir kennen, bei denen man unmittelbar einsieht, dass sie zu siezen außerordentlich empfehlenswert ist. Der Anfang ist Tilte schon gelungen. Aber uns ist klar, dass unsere Lage mehr erfordert als einen guten Anfang.
Rein körperlich ist Bischöfin Anaflabia Borderrud auf Augenhöhe mit unserem älteren Bruder Hans. Aber ihr Blick hängt nicht am Himmel, sondern an demjenigen, mit dem sie spricht, und dieser Blick könnte jederzeit im Sägewerk Finø eingesetzt werden, er kann Holz spalten, auch die härteren Sorten. Außerdem gibt ihre Haltung generell zu erkennen, dass es ihr mehr als widerstrebt, sich irgendwelches Blech anzuhören.
Dazu ist sie nun leider doch gezwungen, nicht zuletzt, nachdem sie unsere Familie kennengelernt hat.
Anaflabia Borderrud leitete nämlich vor zwei Jahren das vom Kirchenministerium eingesetzte Propsteigericht, das den Fall meines Vaters untersuchte, sein Freispruch in allen Punkten erfolgte gegen ihr Votum.
Tiltes Freude, sie zu sehen, ist also sehr einseitig.
»Ich bin ganz zufällig auf Finø«, sagt Anaflabia Borderrud. »Mit meiner Sekretärin Vera.«
Ich weiß nicht, ob die Bischöfe in Dänemark eine Weihnachtsrevue haben. Falls ja, wäre es sicher ein Fehlgriff, Anaflabia Borderrud eine tragende Rolle zu geben. Eine schlechtere Schauspielleistung als die eben gezeigte, in der sie unser Zusammentreffen als zufällig hinstellt, haben Tilte und Basker und ich noch nie gesehen, und zwar die Urlauberrevue im Finøer Festhaus am letzten Juli-Sonntag eingeschlossen, die gemeinhin als das tiefste Niveau gilt, auf das ein Amateurtheater absinken kann.
»Ich habe gehört, dass man nach euren Eltern sucht«, sagt Anaflabia Borderrud. »Das tut mir leid.«
Unter dem Tisch knurrt Basker. Er spürt, dass der Bischöfin das Verschwinden unserer Eltern tatsächlich leid tut, aber es sie außerordentlich anödet, dass sie deswegen nach Finø übersetzen musste, das sie eben nicht als das Gran Canaria Dänemarks betrachtet, sondern eher als eine Mischung aus Alcatraz und einem dänischen Papua-Neuguinea, eine von Strafgefangenen, Kopfjägern und ihren Sprösslingen bevölkerte Einöde. Das kränkt Basker, deshalb knurrt er.
»Und wie kommt es, dass ihr hier seid?«, fragt die Bischöfin.
Wir lassen uns nichts anmerken. Aber die Frage beeindruckt uns tief.
Nicht dass sie es für unpassend hielte, uns drei hier eingesperrt zu sehen, von ihr aus könnten auch Rottweiler herumlaufen und die Fenster vergittert sein. Was sie nicht versteht, ist, dass wir ausgerechnet im Store Bjerg sind. Wasuns zeigt, dass die Polizei und Bodil ihr etwas verheimlicht haben.
Tilte beugt sich über den Tisch, zur Bischöfin und deren Sekretärin Vera hin, die nicht ganz so alt ist, das heißt, vielleicht um die dreißig, und hart wie eine ungeknackte Walnuss. Tilte dämpft
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