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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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ersten Gruppe ist Finø eine kleine Perle, umgeben vom schäumenden Meer, dem die Insel tapfer die Stirn bietet.
    Die zweite Gruppe betrachtet es aus einer andern Perspektive, bei ihr liegt Finø als kleines Baby in den Armen seiner Mutter und nuckelt am großen Zeh, und das Meer ist die Mutter.
    Nun kann man diese Verse nicht singen, ohne sich zu fragen, ob die Verfasser von vaterländischen Liedern Drogen nehmen, bevor sie dichten. Weil nämlich die eine Hälfte der Bevölkerung auf Finø davon lebt, dass sie für die Touristen Kaiserhummer und Steinbutt fischt oder auf der Finø-Bootswerft deren Boote überholt oder die Touristen zu den Robbenbänken auf den Rabalderholmen hinausfährt oder Sonnencreme und Strandkleidung und Café au lait für vierzig Kronen den Becher auf der Strandterrasse des Svumpukkels gleich neben dem Hafen verkauft. Und die andere Hälfte lebt davon, all diesen alten Finøern überzwanzig, die die Touristen bedienen, die Haare zu kämmen und die Zähne einzusetzen und ihnen die Windeln und Katheter zu wechseln.
    Das Meer ist also weder direkt eine Bedrohung noch eine Mutter für Finø. Das Meer ist eine Tombola, aus der wir im Sommerhalbjahr tagtäglich das große Los ziehen. Und dann ist es ein riesiger Spiel- und Sportplatz für Finøs Kinder und Jugendliche, abgesehen von den beiden in grundsätzlich jedem Jahrgang, die wasserscheu sind.
    Einmal hatte Alexander Finkeblod, der Abgesandte des Ministeriums auf Finø, Tilte genötigt, die Hand zu heben. Über so etwas ist sie nicht glücklich, sie findet das demütigend und meint, wenn die Lehrer an Dingen interessiert sind, die sie weiß, sollen sie sie eben fragen. Mittlerweile haben die Lehrer aufgegeben, auch Finkeblod, aber in seinem ersten Jahr versuchte er es standhaft, und in diesem Fall hier fragte er: »Wie heißt das Meer, das Finø umgibt?«, und er forderte Tilte auf, sich zu melden, und fragte sie dann.
    »Es heißt Katzenarsch«, sagte Tilte.
    Alexander Finkeblod fiel fast vom Stuhl und sandte ihr einen Blick, der ganze Landstriche hätte verwüsten können, aber Tilte hatte im großen Wörterbuch der dänischen Sprache nachgeschlagen, »gat« bedeutet bei Tieren After, »Kattegat« also Katzenafter, da beißt die Maus keinen Faden ab.
    Dann sagte Tilte noch, Katzenarsch sei sowieso nicht der schönste Name, am besten wäre, es würde Meer der Möglichkeiten heißen.
    Und das ist bei uns zum festen Ausdruck geworden. Wenn also jemand fragt, wo Finø liegt, sagen wir: »Mitten im Meer der Möglichkeiten«.
    Über diesem Meer bricht unsere Maschine jetzt aus den Wolken hervor, und seine Wellen sind mit weißem Schaum verbrämt. Es windet über vierzehn Meter pro Sekunde, das heißt, uns fließt das Blut ein wenig schneller in den Adern, ist auch nötig, denn Bodil sagt im selben Augenblick:
    »Wir müssen euch jetzt dies kleine blaue Band anlegen wie beim letzten Mal.«
    Sie hält drei blaue Bänder in der Hand, die aus je zwei Nylonstreifen bestehen, die wiederum mit einer Art Zifferblatt aus blauem Plastik verbunden sind. Die beiden Beamten, die Katinka und Lars heißen, wie wir erfahren durften, zwicken die Bänder nun mit einem Spezialwerkzeug fest, das einer Rohrzange ähnelt.
    Aber in den Kapseln ist keine Uhr. Sondern ein kleiner, recht starker Sender mit zwei Knopfzellen. Im Store Bjerg haben sie eine Tafel, die gleiche wie bei der Polizei in Grenå und Århus. Auf diesen Tafeln ist jedem Sender eine kleine Leuchtziffer zugeordnet. Sozialverwaltung und Polizei wissen also immer, wo sich der stolze Träger des blauen Bandes jeweils befindet.
    Blaue Bänder verpasst man Gewalttätern auf Ausgang, die vier Jahre abbüßen, nachdem sie sieben auf einen Streich erschlagen haben. Und Hausfrauen, denen wegen Misshandlung ihres Ehemannes gerichtlich untersagt wurde, sich innerhalb eines Radius’ von anderthalb Kilometern rund um jenen Ort aufzuhalten, wo das Opfer mit seiner neuen Freundin hockt und vor Angst zittert.
    Und schließlich den Kandidaten vom Store Bjerg , die sich angewöhnt haben, die Häuser in Finø-Stadt mit Hilfe einer Brechstange zu betreten.
    Aber keinesfalls Kindern im schulpflichtigen Alter, die sich sonst frei bewegen dürfen.
    Das weiß Bodil auch, daher äußert sie ihre Absicht mit sagen wir geheuchelter Leichtigkeit, so als würde sie vielleicht zu Hiob sagen, ach, das ist bloß ein Hautekzem, das ist morgen wieder weg, oder zu Noah, kein Problem, nur ’ne Welle. Um mal zwei Beispiele aus der Bibel

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