Die Kinder der Elefantenhüter
nordisch zugleich.«
»Du auch«, sagt Tilte. »Vornehm zurückgezogen und zugleich exhibitionistisch ganz vorne dabei.«
Der Graf lächelt glücklich.
»Unsere Kajüten liegen direkt nebeneinander«, sagt er.
Tilte und ich, wir halten uns an der Tür fest.
»Du kommst mit?«, fragt Tilte. Die Stimme voll Hoffnung, wir hätten es bei dem Lärm vielleicht falsch verstanden, das Feuerwerk hat schon angefangen.
»Ich bin einer der Gastgeber«, sagt Graf Rickardt. »Schloss Filthøj ist mein Elternhaus. Ihr könnt euch freuen! Ein phantastischer Ort. Wir betreiben biodynamische Landwirtschaft. In Vollmondnächten wimmelt es nur so von Elementalen.«
Weder Tilte noch ich bringen die Kraft auf, ihn zu fragen, was Elementale sind. Wir haben noch an dem Schock zu knabbern.
Nicht, dass wir Graf Rickardt nicht mögen. Wir betrachten ihn wie gesagt als Familienmitglied. Allerdings, wie man sich eingestehen muss, eines von der Sorte, die stets eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedeuten wird.
»Außerdem ist das ja eine Konferenz über religiöse Erfahrungen«, sagt der Graf. »Mein Revier.«
Da kann man nichts machen. Nichts anderes als sich zu freuen, dass er offenbar seine Erzlaute nicht dabeihat.
Die Pferde scharren, wir steigen in die Kutsche.
Hier zeigt sich die nächste Schwierigkeit.
Hinten in der Ecke sitzt eine ältere Dame, die ihren Hut tief über die Brille gezogen hat und mit offenem Munde schläft, von der Seite gibt es also kein Problem. Aber neben ihr hockt Thorkild Thorlacius, neben ihm seine Frau und neben dieser Anaflabia Borderrud.
Ich hebe Basker sofort unter die Gardine. Tilte und ich sind nicht wiederzuerkennen. Aber Basker zu maskieren, hatten wir keine Zeit mehr.
Wir setzen uns. Der Graf hilft noch einer weiteren Person herein, der Sekretärin Vera, dann nimmt er selbst Platz. Der Kutscher knallt mit der Peitsche, die Pferde ziehen, der Wagen bewegt sich, nicht als säße unser Bruder Hans auf dem Bock, aber auch nicht, als wären ihm Weinbergschnecken vorgespannt.
Das Gesicht des Grafen strahlt.
»Ein letztes Wort, Leute«, sagt er, »an euch brave Seeleute: Drückt auf die Tube, verdammt!«
Ganze Wellen von Zuckungen durchfahren das Gesichtvon Thorkild Thorlacius und der Bischöfin. Daraus kann man schließen, dass von den Qualen, die sie die letzten zwölf Stunden durchlitten haben, die Begegnung mit dem Grafen nicht die unbedeutendste ist.
Ich muss gestehen, dass sich weder Tilte noch ich so richtig auf das Feuerwerk konzentrieren können, befinden wir uns doch inmitten eines doppelten Risikos, einerseits dass Graf Rickardt der Mund übergeht und er uns im wahrsten Sinne entschleiern könnte, andererseits dass Thorlacius und Anaflabia uns erkennen.
Tatsächlich spüre ich, wie der Professor abwechselnd auf meinen Turban und Tiltes Schleier starrt.
»Haben wir uns nicht schon mal gesehen?«, sagt er.
»Wir kommen von der Vedantistischen Sangha auf Anholt«, sage ich. »Kann es dort gewesen sein?«
Thorkild Thorlacius schüttelt den Kopf. Seine Augen sind ganz schmal geworden.
»Begleitet euch ein Erwachsener?«, sagt er langsam.
Ich nicke in Richtung der schlafenden Dame in der Ecke.
»Nur die Äbtissin«, sage ich.
Ich spüre, wie in Thorkild Thorlacius und Anaflabia immense Kräfte mobilisiert werden, der ganze Scharfsinn und die Kombinationsgabe und psychologische Einsicht, die es brauchte, um Bischöfin beziehungsweise weltberühmter Hirnforscher zu werden. Es ist glasklar, dass wir in kürzester Zeit um unser Leben rennen müssen.
In diesem strategischen Augenblick legt die alte Dame ihren Kopf auf Thorkild Thorlacius’ Schulter.
Wenn du mich fragst, geht es mir mit Wundern genauso wie mit den Geschichten von Leuten, die behaupten, wie geil sie Fußball spielen: Ich will ganz gern erst mal den Ballim Netz zappeln sehen. Andererseits muss man auch sagen, wenn durch das Poltern der Karosse in genau diesem Augenblick der Kopf der Greisin mit Hut und Brille auf Thorkild Thorlacius’ Schulter rollt und sich dort zur Ruhe bettet, wird man das Gefühl nicht los, die Tür müsse offen stehen und Tilte und Basker und mir blühe von außen etwas richtig Saftiges.
Wenn nun aber jemand glauben sollte, wir machten es uns im ersten Parkett bequem und genössen die Handreichung der Vorsehung – falls das überhaupt das richtige Wort ist –, dann hat er sich geschnitten. Selbst wenn wir Lust hätten, es uns bequem zu machen, uns wird gar nicht erst die
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