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Die Kinder der Elefantenhüter

Titel: Die Kinder der Elefantenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Hoeg
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ließe. Aber auf der anderen Seite haben Bermuda Svartbag und die großen Weltreligionen gesagt, es sei wichtig, die Toten respektvoll und schonend zu behandeln, außerdem wissen Tilte und ich, dass im Falle von Vibes Abwesenheit nach ihr gesucht werden würde, und was man absolut nicht gebrauchen kann, wenn man unter falscher Identität reist, ist ein Verhör auf hoher See mit nachfolgender Kajütendurchsuchung.
    »Rickardt«, sage ich, »wie hast du sie aus dem Leichenwagen in die Kutsche gekriegt?«
    Graf Rickardt öffnet den Gepäckkasten hinten an der Kutsche, aus dem er einen zusammenklappbaren Rollstuhl angelt. Tilte und ich sehen uns an. Telepathisch sind wir uns über unsern nächsten Schritt einig.

 
    Die Gangway ist eine Treppe, an der Treppe steht der Schiffskapitän mit weißer Uniform und goldbetresster Schirmmütze zusammen mit Kalle Kloak, um allen eine gute Reise zu wünschen. Als Kalle uns sieht, hellt sich sein Gesicht auf, er lächelt breit, dann fällt sein Blick auf Vibe im Rollstuhl.
    Eine Sekunde lang befürchte ich, Tilte werde Vibe aus Ribe als eine weitere Ahlefeldt-Laurvig vorstellen, aber da empfindet Tilte anscheinend genauso wie ich: das hieße, den Bogen gewaltig überspannen.
    »Die Leiterin der vedantistischen Sangha«, sagt sie.
    Kalle macht Anstalten, Vibe einen Handkuss zu geben, aber das kann ich noch verhindern, indem ich dazwischengehe.
    »Tut mir leid«, flüstere ich Kalle zu, »von wegen Keuschheitsgelübde und so … Kein Mann darf die Äbtissin berühren.«
    Kalle tritt respektvoll zur Seite, es wird eine Aluminiumrampe geholt, und muskulöse Seeleute rollen Vibe an Bord und zeigen uns den Weg zu unserer Kajüte. Leichte Wehmut streift mich bei dem Gedanken, dass Vibe es nicht vor ihrem Tod erleben durfte, von etlichen muskulösen jungen Männern auf einmal versorgt zu werden, das hätte ihr unter Garantie noch mehr gefallen als die Sache mit den hohlen Eiskugeln. Auf dem Weg passieren wir Restaurant und Küche des Schiffs, und Tilte und ich wechselneinen vielsagenden Blick, denn wo ein Restaurant ist, ist eine Küche, und wo eine Küche ist, ist ein Kühlraum, und falls man nach etwas sucht, wenn man die Verantwortung für einen Verstorbenen trägt, der seinen Sarg verlegt hat, dann ist es ein Kühlraum.
     
    Wer glaubt, Schiffskajüten seien stets kleine Besenkammern mit festen Kojen und einem Bullauge, sollte sich das Erlebnis der Weißen Dame von Finø nicht entgehen lassen. Unsere Kajüte ist groß wie ein Wohnzimmer und ähnelt Tausendundeiner Nacht, die Schlafstätte ist ein herzförmiges, mit rotem Samt bezogenes Himmelbett, es gibt ein Sofaarrangement und ein Marmorbadezimmer, in dem Bademäntel und persische Pantoffeln bereitliegen, und unter anderen Umständen hätten wir uns gestattet, diesen üppigen Luxus zu genießen. Aber sobald die Seeleute verschwunden sind, schieben wir Vibe aus Ribe auf den Gang und durch das leere Restaurant und die verlassene Küche, an deren hintersten Ende wir den Kühlraum finden, den wir uns erhofft haben.
    Es ist ein Kühlraum, der erfolgreich sein will in der Welt, groß wie ein Campingwagen, von der Decke hängen bis auf den Boden Pferde, Schweine, Kühe und Schafe, gehäutet und halal geschlachtet, und ganz hinten, wo sie die Seefahrt ungestört genießen kann, bis wir den Sarg aufgestöbert und sie verstaut haben, parken wir Vibe und ziehen ein paar weiße Plastiksäcke über sie und den Rollstuhl, zurück in der Kabine setzen wir uns in die Polster und legen das Päckchen aus Mutters und Vaters Bankschließfach vor uns auf den Tisch.
     
    In dem Packpapier verbirgt sich eine schwarze Pappschachtel, so eine wie die, in denen Vater seine Predigten aufzubewahren pflegt. Die Schachtel enthält verschiedene Papierbündel, die von Gummibändern zusammengehalten werden, wir fangen mit einem Stapel Zeitungsausschnitte an.
    Sie behandeln die Große Synode, es sind mehrere Hundert, und erst verstehen wir nicht, wo Mutter und Vater sie herhaben, denn sie sind aus vielen verschiedenen Zeitungen, und im Pfarrhof halten wir lediglich die internationale Publikation Finø Folkeblad . Aber dann stellt sich heraus, dass es Ausdrucke aus dem Netz sind, aus den letzten drei Jahren, die ersten erwähnen die Konferenz als zarte Möglichkeit, mit der Zeit wird der Ton immer sicherer und sensationeller, und endlich ist die Sache todsicher, es werden Fotos der Teilnehmer gezeigt, die ihre endgültige Zusage gegeben haben, und die Zeitungen

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