Die Kinder der Elefantenhüter
Möglichkeit gegeben, denn als der Damenkopf auf Thorlacius’ Schulter kullert, verrutscht der Hut, und wir erkennen, wer es ist. Es ist Vibe aus Ribe.
Naivere Typen als Tilte und ich würden vielleicht denken, jetzt sei jeder Zweifel an der Existenz von Wundern ausgeräumt, denn Vibe aus Ribe sei doch aus dem Sarg aufgestanden, habe sich Hut und Brille aufgesetzt und in der Kutsche Platz genommen, nach sieben Tagen Sterbeprozess. Aber so was kann man Tilte und mir nicht weismachen. Wir sehen doch, wie es Graf Rickardt durchzuckt, irgendetwas muss er damit zu tun haben, dass Vibe plötzlich wieder unter uns weilt.
Ein Mann mit Thorkild Thorlacius’ wissenschaftlicher Erfahrung sollte erkennen können, dass Vibes Ausstrahlung etwas Käsiges hat. Aber sein Argwohn gegen uns hat ihn so gepackt, dass es seinen Falkenblick trübt. Er legt seine Hand auf Vibes Arm.
»Meine Dame«, sagt er, »äh, Fräulein, kennen Sie diese jungen Menschen?«
Dann zieht er die Hand zurück.
»Pfui, Teufel!«
Die Bischöfin zuckt zusammen. Sie ist es gewohnt, dass ihre Anwesenheit wie ein ultimatives Sprühmittel gegen Flüche wirkt. Aber man kann den Professor verstehen. Vibe hat auf Trockeneis gelegen. Trotzdem fasst er sich überraschend schnell, ein Zeichen seiner finnischen Sisu und professionellen Übersicht.
»Gestatten Sie, Fräulein«, sagt er zu Vibe, »nur eine ärztliche Einschätzung. Sie sind nahe an einer Unterkühlung.«
Einen Moment lang hat die Lage etwas heller ausgesehen, jetzt spitzt sie sich wieder zu und erfordert ein Eingreifen.
»Das ist ihr Training«, sage ich. »Ihr meditatives Training. Darin vertieft sie sich immer auf Fahrten. Die Körpertemperatur sinkt. Die Atmung fällt flach. Fast.«
Thorlacius hat sich zu mir umgedreht. Im selben Augenblick wühlt Basker unter meiner Ordenstracht. Alle Blicke im Wagen schwenken von Vibe auf meinen Bauch.
»Bauchrollen«, sage ich. »Bewegung der tiefsitzenden Bauchmuskeln. Eine spezielle Yogatechnik.«
An dieser Stelle ereignet sich nun eine dieser Begebenheiten, die sich ehrlich gesagt wie ein kleiner aufmunternder Klaps des lieben Gottes anfühlen: Der Wagen hält, einer der livrierten Fronbauern öffnet den Schlag und weist uns an, an Bord zu gehen.
Anaflabia, Vera, Thorlacius und seine Frau folgen der gepuderten Perücke. Ich sehe, dass sie lieber bleiben und ihren Argwohn gegen uns weiterpflegen würden, aber das Witzige ist, dass richtig viele Erwachsene, sogar geborene Generäle wie Thorlacius und Anaflabia, etwas von ihrer Urteilskraft einbüßen, wenn sie Befehle von Uniformträgernempfangen, das heißt, ein paar Sekunden später sind sie fort, und Vibe, Basker, der Graf, Tilte und ich sind übrig, wir umringen Graf Rickardt, und ihm ist bewusst, wenn er jetzt keine Erklärung liefert, kommt er nicht unter schwerer Körperverletzung davon.
»Es ist wegen meiner Erzlaute«, sagt er. »Sie haben sie mir weggenommen. Dunkle Kräfte nahmen sie mir, plötzlich war sie weg. Aber sie muss mit. Ich hab doch versprochen, auf der Konferenz zu spielen. Musik ist ein direkter Weg zum religiösen Erlebnis. Und da ist die Laute weg. Die Situation ist kritisch. Aber die Kobolde kommen mir zu Hilfe. Sie zeigen mir, wo sie eingeschlossen und wo der Schlüssel ist. Aber wie kriege ich sie an Bord? Guter Rat ist teuer. Aber dann erzählen die Kobolde mir vom Sarg. Ich bekomme ihn auf. Mit großer Mühe. Man ist ja nicht gerade Handwerker. Die Laute passt perfekt hinein. Der Sarg ist sogar gefüttert.«
»Und dann setzt du Vibe in die Kutsche?«
»Kenne leider ihren Namen nicht. Ich bin den Anweisungen der Kobolde gefolgt. Heiliger Strohsack, sie ist kälter als ein kalter Turkey. Ich musste Handschuhe anziehen. Und einen Hut und eine Sonnenbrille für sie auftreiben.«
»Rickardt«, sagt Tilte, und ihre Stimme klingt unheilvoll, »haben dir die Kobolde auch die Anweisung gegeben, wie sie jetzt an Bord zu schaffen ist?«
Der Graf schüttelt den Kopf.
»Das ist manchmal das Problem. Die geben immer nur die Anfangsinspiration, wenn du verstehst, was ich meine.«
Zu behaupten Vibe aus Ribe sei zu ihren Lebzeiten allgemein beliebt gewesen, hieße mit der Wahrheit leichtfertigumgehen. Dass die meisten davon überzeugt waren, dass sie sich in Vollmondnächten in einen Werwolf verwandelt hat, kommt den Tatsachen schon näher. Das heißt, ihr Nachruhm ist nicht so groß, dass er Tilte und mich bei dem Gedanken, sie am Kai zurückzulassen, weinend zusammenbrechen
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