Die Kinder der Nibelungen (German Edition)
hinein. Für ihn war das Einzige, was noch zählte, die Rache, seine Vergeltung an Siggi und dessen nicht minder verachtenswerten Schwester Gunhild, die diesen Schwächling schützte – aber Hagen war nun stark genug, um es mit beiden aufzunehmen.
Der aufgestaute Zorn, der unterdrückte Hass auf die Geschwister brannte heiß in ihm. Hagen konnte es kaum noch erwarten, ihnen gegenüberzutreten, und dann würde sein Zorn auf Siggi und seine Schwester hereinbrechen wie ein Orkan. Er sah sich an der Seite Alberichs die Schwarzalben gegen die Lios-alfar führen, sah förmlich, wie das bleiche Gezücht Asgards zerschlagen wurde von der dunklen Flut der Swartalfar.
»Herr?«, erreichte Hagen die Stimme einer Frau. »Herr!«
Hagen war, als tauche er aus einem tiefen Schacht empor. Er brauchte einen Moment, bis er erkannte, wo er war, so sehr hatten ihn seine Fantasien im Griff. Ihm war, als würde er aus einem Traum erwachen.
Als er an sich heruntersah, stellte er fest, dass er vollkommen neu gewandet war. Völlig willenlos hatte er sich von den dienstbaren Geistern ankleiden lassen, während er seinem Rachetraum nachgehangen und die Fantasien von Sieg und Macht ausgekostet hatte.
Seine Kleidung war schwarz, durchsetzt von silbernen Stickereien. Er trug einen weiten Umhang, der von einer silbernen Fibel gehalten wurde; sie zeigte eine gewaltige Schlange oder ein Seeungeheuer, das sich selbst in den Schwanz biss. An seiner linken Seite spürte er ein Gewicht. Seine Linke tastete danach, und er bekam den Knauf eines mehr als einen halben Meter langen Schwertes zu fassen, der kalt in seiner Faust ruhte.
Ein seltsames Gefühl beschlich Hagen, als er das kalte Metall fühlte. Er griff mit der Rechten danach und zog das Schwert blank. Die Klinge glitt mit Leichtigkeit aus der gefütterten, mit feinen Silberarbeiten verzierten Scheide.
Die Schwarzalbinnen traten einige Schritte zurück, senkten den Blick und warteten ab, was Hagen tun würde.
Ein prickelndes Gefühl ungeheurer Macht durchlief Hagen, dass er unwillkürlich erschauerte. Ihm war, als wäre er mit der Waffe in der Hand geboren, als wäre er dazu bestimmt, dieses Schwert zum Ruhme Alberichs und der Swart-alfar zu führen. Und natürlich zu seinem eigenen.
Probehalber ließ er die Klinge einige Male durch die Luft sausen. Obwohl er das Gewicht des Metalls deutlich spürte, schien es doch so leicht wie eine Feder zu sein. Das Heft schmiegte sich in seine Hand, als habe der Schmied, der diese wundervolle Waffe einst schuf, bei ihm Maß genommen, als habe dem Meister des edlen Schmiedehandwerks seine Hand als Modell gedient.
Ein kaltes Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, das all die Gefühle wiedergab, die in ihm tobten.
»Ich komme, Siggi«, murmelte er mehr zu sich selbst.
»Wohl gesprochen!«, erklang hinter Hagen eine Stimme, die ihm so vertraut war, als hätte er sie sein Leben lang gehört.
Hagen wandte sich um. Er sah Alberich direkt in die Augen, ging förmlich auf in dem wilden Blick des Herrn der Swart-alfar, und die Macht des Königs, der ihn an Sohnes statt angenommen hatte, ließ in ihm eine verwandte Saite anklingen. Ja, für ihn war Alberich mehr als ein Vater; denn der Herr der Schwarzalben hatte ihn sofort verstanden, hatte einen Blick in sein Herz geworfen, und ihn besser erkannt, als jeder Mensch es vermocht hätte.
»Komm, mein Sohn«, forderte Alberich ihn auf. »Es ist an der Zeit, in die Thronhalle zurückzugehen.«
Mîm trat vor. Er verneigte sich kurz vor Hagen.
»Mîm wird deine Schildwache sein«, gab ihm der König zu verstehen. »Er wird dir dienen und dich im Kampf beschirmen, auf dass wir beide noch lange in der Anderswelt herrschen mögen – nachdem wir dem bleichen Gezücht und ihrer Königin gegeben haben, was ihnen gebührt.«
Um die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen, hob Alberich seine mächtige Streitaxt. Das Eisen des Stiels war nachtschwarz. Das breite geschwungene Blatt schimmerte mattsilbern im fahlen Licht der Rüstkammer. Eine Wunde von dieser Waffe musste tödlich sein. Alberich hängte die Axt an seinen breiten Gurt.
»Ich bin bereit, Meister«, antwortete Hagen und salutierte mit dem Schwert, ehe er es in die Scheide zurücksteckte.
»Bitte, Hagen«, begann Alberich, »ich sehe in dir einen Sohn, und so erweise mir bitte die Ehre und nenne mich Vater. Wir sind, wenn nicht von gleichem Blut, so doch eines Geistes – des Geistes, der nach Rache und Vergeltung an Dieben und Verrätern
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