Die Kinder der Nibelungen (German Edition)
schreit.«
»Ich bin bereit, Vater «, wiederholte Hagen und sah dem Herrn der Swart-alfar ins Gesicht. Für einen Moment schien es, als spiegele sich darin eine lang entbehrte Freude. Aber der Eindruck war schnell wieder vorbei, und das Feuer des Hasses, des Zorns und der unbefriedigten Rache kehrte in Alberichs Augen zurück.
Aber Hagen hatte den Moment des Erkennens bemerkt, der ihm gegolten hatte. Sein leiblicher Vater hatte ihn nie mit einem solchen Blick angesehen. Wenn Hagen es recht bedachte, war der Blick seines Vaters eher von Missachtung und Gleichgültigkeit geprägt gewesen. Selbst Siggi wurde von seinen Eltern geliebt, aber die würden ihren kleinen blonden Wunderknaben nicht mehr wiedersehen.
Hagen hatte sein wahren Vater gefunden, einen, der ihn und seine Gefühle verstand.
»Komm, Sohn«, sagte Alberich nur. »Folge mir in die Halle.«
Hagen lächelte. Stolz brandete in ihm auf. Nun würde alle neidisch auf ihn sein. Und niemand würde ihm je wieder etwas wegnehmen können.
So machten sich der König der Swart-alfar und sein neuer Sohn auf den Weg aus der Rüstkammer zurück in die Halle. Mîm folgte ihnen auf dem Fuße. Die Frauen blieben zurück.
Ihre Blicke folgten dem König, und in den Augen der Frauen standen die widersprüchlichsten Gefühle: Stolz, Ehrfurcht und Zorn, aber auch Trauer, Angst und Mitgefühl. Sicher waren die Frauen stolz darauf, ihre Söhne und Männer in Kampf gegen das bleiche Gezücht Asgards ziehen zu sehen, aber auf der anderen Seite würden manche vielleicht aus diesem Kampf nicht zurückkehren, würden tot auf dem Schlachtfeld zurückbleiben. Frauen würden zu Witwen werden, Kinder zu Waisen. Das galt auch für die Lios-alfar, und so sehr die Frauen auch hassten, ein Rest von Mitgefühl mit ihren bleichen Schwestern auf der anderen Seite blieb bestehen.
Und dann gab es da immer noch die Legenden von der letzten Schlacht, welche die Anderswelt auslöschen, vernichten würde …
Die Skalden sangen in ihren Liedern von diesem letzten großen Gefecht, bei dem das Feuer Muspelheims durch die Höhlen und Dome rasen würden, der Tod reichliche Ernte hielt und Mann, Frau und Kind durch die Hiebe von Äxten oder Schwertern fielen oder vom Feuersturm ins ewige Nichts gerissen wurde.
Und hatte der König nicht den Ruf nach der letzten Schlacht ausgestoßen? War er sicher, dass er damit meinte, dass das bleiche Gezücht zu besiegen und in das Joch zu zwingen wäre? Konnte diese letzte große Schlacht überhaupt einen Sieger haben? Die Zweifel wuchsen, und die Furcht blieb.
Kam das Ende der Anderswelt? War Ragnarök da? Ragnarök – der Weltuntergang!
Die Frauen kannten die Antwort nicht, aber es war eine besondere Nacht, und Legenden waren auferstanden, die in Gestalt eines Midgard-Knaben unter ihnen wandelten. So war es auch bei der bleichen Brut; auch sie hatten ihre Helden gefunden. Waren das nicht Vorzeichen genug?
Doch der König hatte gesprochen. Er wollte die Schlacht, und das Volk würde ihm folgen, ob zum Guten oder Bösen …
Weder Alberich noch Hagen sahen die Zweifel in den Augen der Frauen. Ihr Ziel war die große Königshalle. Im Gleichschritt gingen der König der Swart-alfar und sein Prinz. Mîm folgte ihnen dichtauf.
Der junge Krieger hatte die Blicke der Frauen gesehen, aber er verstand nicht, was in den Augen zu lesen war. In ihm brannte die Lust zu kämpfen, seinem und dem Namen seines Königs Ehre zu machen. Es war die Vorfreude, von der bleichen Brut den Blutzoll zu fordern; denn sie hatten in den unzähligen Scharmützeln in den Tiefen der Anderswelt das Leben vieler seiner Kameraden genommen. Das machte den jungen Krieger blind für die Gefühle der Frauen, und so sah Mîm auch seine eigenen Ängste nicht, die er tief in seinem Innern hegte.
Hagen fühlte sich so frei wie noch nie zuvor in seinem Leben. Den Weg zurück zur Halle nahm er bewusst wahr, versuchte jede Sekunde davon in sich aufzunehmen, sich keinen Moment entgehen zu lassen, um die Huldigung des Volkes noch mehr genießen zu können.
»Vater?« Hagen wandte sich an Alberich, der hoch aufgerichtet neben dem Jungen ging. »Vater, werde ich im Kampf gegen Siggi, den Ringdieb, bestehen?«
»Du hast ihn schon einmal besiegt, mein Sohn«, entgegnete Alberich, und sein Blick war tief und unergründlich.
»Aber das war nicht ich … Das war – ein anderer«, wandte Hagen ein.
»Alles wiederholt sich im ewigen Kreislauf. Die Nornen weben unsere Schicksalsfäden, deinen ebenso wie
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