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Die Kinder der Nibelungen (German Edition)

Die Kinder der Nibelungen (German Edition)

Titel: Die Kinder der Nibelungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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niederzustrecken. Aber etwas in ihm wehrte sich gegen blinde Gewalt, ja, verteidigte Hagen, der bestimmt mit Versprechen und dem süßen Gift der Versuchung auf die Seite der Swart-alfar gelockt worden war.
    Und wenn dem so war, war es Siggis Aufgabe, Hagen zu überzeugen, dass er die falsche Seite gewählt hatte.
    »Warum? Wieso hast du das getan, Hagen?«, wandte er sich direkt an den Freund – wenn er es überhaupt noch war oder je gewesen war -, aber noch bevor dieser antworten konnte, kam für Siggi die nächste Überraschung, die ihn für Augenblicke Hagen völlig vergessen ließ.
    »Ho, Alberich! Sieh her!«, ertönte die Stimme Odins, die voller Erwartung und Hoffnung war. »Ich bringe dir den Lohn für die glorreiche Tat!«
    Der Göttervater trat durch das gleiche Tor, durch das Alberich erschienen war. Und Siggi sah, dass Odin Gunhild in der Gewalt hatte. Fest umklammerte er ihren linken Arm; ihrem Gesicht sah man an, dass der Griff des Alten ihr Schmerzen bereitete. Auf ihrer Brust schimmerte das Gold des Halsbandes wie in qualvollen Zuckungen. Begleitet wurden sie von drei Schwarzalben, von denen zwei den bewusstlosen Laurion mit sich schleppten.
    »Hier ist es, Brisingamen, die Belohnung dafür, dass du meinen Speer neu geschmiedet hast«, verkündete Odin.
    Siggi stand da mit offenem Mund. Waren denn alle Verräter? War auch Odin sich nicht zu schade, mit den Swart-alfar, die er als Feinde hingestellt hatte, gemeinsame Sache zu machen? Und doch, Siggi hätte es wissen müssen. Hatte er nicht das Gespräch zwischen Odin und Thor an der Wurzel des Weltenbaumes noch im Ohr, aus dem hervorging, dass die Götter in der Tat nur an sich selber dachten und die Menschen nur als Werkzeuge benutzten?
    Für den Augenblick schien Siggi nur eine Nebenrolle in dem Drama zu spielen, als Odin mit großer Geste auf Alberich zuschritt. Der graue Mantel wehte um seine hagere Gestalt. Die Raben hockten wie zu Schatten gewordene Gedanken auf seinen Schultern.
    »Dein Lohn, Nibelung! Brisingamen und eine Tochter Midgards als Beigabe!« Odins Stimme hallte durch das Gewölbe. Siggi stand in seinem Rücken, und konnte so das Gesicht nicht sehen, aber er wusste, dass es unter der Haut über dem leeren Auge arbeitete wie Maden im verfaulenden Heisch und dass die Züge des Gottes von wilder Erwartung verzerrt waren.
    Alberich griff den Speer, der vergessen auf dem schwarzen Ambossstein gelegen hatte, und hob ihn empor. Siggi hielt den Atem an. Hatte Thors letzter Schlag doch noch getroffen? Der Speer war heil und ganz; doch wenn noch Macht darin lag, war sie tief in seinem Inneren verschlossen. Die eingeritzten Runen starrten wie tote Augen. Nur die Bruchstelle glühte noch in einem matten Rot.
    »Ho, Siegvater!«, antwortete Alberich. »In der Tat, der Speer ist neu geschmiedet.« Ein Grinsen verzerrte des Nibelungen Gesicht zu einer Fratze des Triumphes. »Aber was soll ich mit meinem Lohn? Es ist ein Schmuck für das Eheweib, das ich nie begehrte. Was schert mich solcher Tand, wenn ich das hier haben kann!« Dabei sah Alberich auf den Runenspeer, das Symbol der Macht seines alten Widersachers. »Mich, den Kriegsherrn der Swart-alfar, schmückt doch der Speer Siegvaters viel mehr, nicht wahr? Er wird mir so nützen wie dir. Und ich werde nicht versagen, wie du es getan hast. Und du, Einauge, wirst in diesem Plan auch eine Rolle spielen – als mein Hofnarr!«
    Odin erstarrte in der Bewegung. Bei jedem Wort zuckte er förmlich zusammen. Alberich, in dessen Gesicht Siggi sah, war sich seines Sieges bewusst. Eine nachlässige Geste mit der Rechten und zwanzig Krieger mit Schwertern und gespannten Armbrüsten traten aus der geheimen Pforte zu den Feuern Muspelheims. Auch die bereits in Muspelheim befindlichen Schwarzalben zogen ihre Klingen.
    Die Raben, die auf Odins Schultern hockten, flatterten krächzend auf. Pfeile zischten und trafen sie mitten im Flug. Der eine stürzte flügelschlagend auf den harten Basaltboden, zuckte noch einen Augenblick und lag dann still. Der andere wurde von der Wucht der Geschosse über den Rand des Lavasees getragen und verendete mit einem Aufflammen im Muspelfeuer.
    Odin sah sich hilflos um; er war nicht imstande, auch nur ein Wort zu sagen. In Siggi hallten die Worte der Verborgenen Königin wie ein Echo wider: Lass dein Herz sprechen, Einauge. Gefühle und Weisheit sind nicht immer eins. Höre auf die Stimme deines Herzens. Der Graue hatte nicht auf sein Herz gehört, sondern seiner Klugheit

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