Die Kinder des Dschinn. Das Akhenaten-Abenteuer
menschlichen Figuren aus weißem Glas verziert. Es sind Gestalten aus der Mythologie: Poseidon, Aphrodite und möglicherweise auch Paris, der trojanische Krieger. Die Figuren verleihen der Vase etwas Magisches, fast so, als könnte die Schlange in Aphrodites Hand plötzlich wachsen und den fliegenden Eros verschlingen, der über Aphrodites Kopf schwebt. Wenigstens fand das der Kunststudent, der das Gefäß gerade für den Unterricht zeichnete.
Zuerst fragte er sich verwundert, ob der aus der Vase steigende Rauch eine optische Täuschung war oder er ihn sich bloß einbildete, weil er mehrere Nächte lang an einem Porträt für einen Kunden gearbeitet hatte. Schließlich war auch van Gogh wegen Überarbeitung wahnsinnig geworden. Der Kunststudent tröstete sich damit, dass er sich in berühmter Gesellschaft befand, sollte auch er verrückt werden.
Er legte seinen Bleistift und den Zeichenblock hin, nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen. In der Zwischenzeit war der Rauch auf den Boden gesunken. Instinktiv wich der Student mehrere Schritte zurück. Er wollte gerade aus dem Raum laufen, um Alarm zu schlagen, als sich der Rauch mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit verzog. Dahinter tauchten zwei Kinder von ungefähr zwölf Jahren auf, die schwarz gekleidet waren, pechschwarze Gesichter hatten und wie zwei kleine Einbrecher aussahen.
»Lenk ihn ab, während ich den Steinkrug hole«, murmelte John aus dem Mundwinkel.
Philippa lächelte den Studenten freundlich an, hob seinen Skizzenblock auf und betrachtete interessiert die Zeichnung. »Nicht schlecht«, bemerkte sie höflich. »Es muss ziemlich schwierig sein, sie zu zeichnen.«
Der Student nahm ihr den Zeichenblock ab und schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht begabt. Wenn ich Talent hätte, wäre alles ganz anders. Ach, ich wünschte, ich wäre begabt!«
»Oh, mir ist plötzlich ein bisschen schwindlig«, sagte Philippa und setzte sich auf den Boden. Sie kannte das Gefühl schon. Es war dasselbe Schwindelgefühl wie in New York, als Mrs Trump sich einen Lottogewinn gewünscht hatte. »Es ist ziemlich kühl hier drin.«
»Fühlst du dich nicht wohl?«, fragte der Student. »Soll ich dir ein Glas Wasser holen?«
»Nein«, antwortete Philippa. »Mir geht es gleich wieder besser.«
John kam zurück und half ihr auf die Beine. Sein Rucksackwurde von dem Gewicht des Steinkrugs nach unten gezogen. Philippa warf ihm einen fragenden Blick zu. Er nickte.
»Ich bin schon wieder okay«, sagte sie und lächelte den Studenten freundlich an. »Mr –?«
»Finger«, sagte der Student. »Frederick Finger.«
Philippa griff nach seinem Skizzenblock und sah sich die Zeichnung noch einmal an. Es stimmte, diese Zeichnung drückte nur wenig Begabung aus. Aber das würde sich jetzt ändern, dessen war sie sich sicher.
»Wir müssen jetzt gehen«, sagte sie. »Übrigens, Mr Finger – Sie irren sich. Sie sind begabt. Sogar sehr begabt. Sie haben Ihre Begabung bloß noch nicht entdeckt. Hören Sie auf mich und versuchen Sie es morgen noch einmal. Sie werden erstaunt sein, was sich an einem einzigen Tag ändern kann.«
»Komm jetzt«, zischte John ihr zu. »Lass uns von hier verschwinden.«
»Hast du ihm einen Wunsch erfüllt?«, fragte er Philippa draußen auf der Treppe.
»Du hast doch gesagt, ich soll ihn ablenken«, gab sie zurück. »Genau das habe ich getan.«
»Der spinnt ein bisschen, wenn du mich fragst«, sagte John. »Warum sollte jemand eine alte Vase zeichnen?«
»Er ist ein Künstler. Künstler tun so was.«
Ein paar Minuten später hatten sie das Britische Museum verlassen. Sie blieben vor einem Zeitungskiosk stehen und schauten sich nach einem Taxi um. Da fiel ihr Blick auf die Schlagzeile der Titelseite des
Daily Telegraph
:
70 ÄGYPTER BRECHEN IN DAS BRITISCHE MUSEUM EIN.
Darunter war ein Foto abgebildet, auf dem mehrere Dschinn-Priester gerade in einen Polizeibus stiegen. Philippa kaufte eine Ausgabe der Zeitung und las den Bericht laut vor:
»Nicht weniger als siebzig Männer, die sich als ägyptische Priester der Antike verkleidet hatten, sind Dienstagnacht festgenommen worden, als die Polizei zu einem Einbruch im Mumiensaal der altägyptischen Räume im Britischen Museum gerufen wurde.
Unklarheit herrscht bisher über den Grund der Versammlung. Möglicherweise protestierten die sämtlich kahl rasierten und wie altägyptische Priester gekleideten Männer, die nur wenig Englisch sprachen, gegen die Ausstellung mumifizierter Leichen.
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