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Die Kinder des Dschinn. Das dunkle Erbe der Inka

Die Kinder des Dschinn. Das dunkle Erbe der Inka

Titel: Die Kinder des Dschinn. Das dunkle Erbe der Inka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. B. Kerr
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Bandbreite von Johns fast sinfonischer Darbietung aufwies.
    »Du magst vielleicht besser Lieder pfeifen können«, sagte
El Tunchi,
wütend auf sich selbst. »Aber ich bezweifle, dass mir irgendjemand das Wasser reichen kann, wenn es um die Kraft meines Pfeifens geht.«
    »In Ordnung«, sagte John. »Aber diesmal fangen Sie an.«
    El Tunchi
holte tief Luft, spitzte die Lippen und stieß einen langen, durchdringenden Pfiff aus, der mehrere Vögel und eineganze Reihe Insekten so nervös machte, dass sie in den vergleichsweise ruhigen Wolken Zuflucht suchten.
    John nickte. »Nicht schlecht«, gab er zu. »Aber ich kann es besser.« Er wünschte sich, einen Sturm herbeipfeifen zu können, wie es in einem englischen Sprichwort heißt, schob die Finger zwischen die Lippen und legte los.
    Zuerst war der Pfiff einfach nur laut – er erreichte mühelos die Lautstärke von
El Tunchis
Vorlage. Doch je länger er andauerte, desto stärker wurde der Wind, den die aus Johns Mund entweichenden Luftströme verursachten, bis schließlich die Büsche und Bäume um sie herum in Bewegung gerieten. Dann flog
El Tunchis
Kopfbedeckung davon und enthüllte seine Glatze. Als Nächstes wurde die Felldecke des Schamanen fortgeweht, sodass er nur noch im Lendenschurz dastand. Und als Letztes flog ihm auch noch die Eidechse aus dem Mund. John hätte am liebsten losgelacht, aber dafür hätte er mit dem Pfeifen aufhören müssen.
    »Bitte«, rief der Schamane mit seiner eigenen kläglichen Fistelstimme, die kein bisschen furchterregend war.
    Bei einer so dünnen, quäkenden Stimme, überlegte John, war es leicht nachzuvollziehen, warum
El Tunchi
eine Eidechse für sich hatte sprechen lassen.
    »Aufhören, ich flehe dich an«, heulte der Schamane, der ohne seine komische Perücke und den Fellumhang wesentlich kleiner wirkte. Er steckte sich die Finger in die Ohren, machte die Augen zu und kauerte am Boden, als habe er Angst, dass der ganze Wald davongeweht werden würde. »Bitte. Hör mit dem Pfeifen auf. Es macht mich wahnsinnig.«
    Aber John pfiff so beständig weiter wie der Nordwind. Er war entschlossen,
El Tunchi
eine Lektion zu erteilen. Noch nie hatte man solches Pfeifen gehört. Weder am Südpol noch am Kap Hoorn, nicht in den russischen Steppen und auch nicht auf hoher See – allesamt Orte, an denen mächtige pfeifende Winde alles vor sich hertrieben. Als er
El Tunchis
Kleider davongeblasen hatte, war die morbide Orgel des Schamanen an der Reihe: die Register aus Tapirwirbeln, das Pedal aus menschlichen Schienbeinknochen, das Orgelgehäuse aus Rüstungen und natürlich die Orgelpfeifen selbst, die aus Menschenschädeln bestanden – all das wurde über die Baumkronen davongeweht oder zu Staub zerschmettert, sodass nichts davon übrig blieb.
    Nach seiner Erfahrung mit den Prozuanaci-Indios war John in der Stimmung für lehrreiche Lektionen. Und obwohl er mit jedem sympathisierte, der den spanischen Konquistadoren zum Opfer gefallen war, fand er nicht, dass es jemand hinreichend berechtigte, anderen Leuten Löcher in den Kopf zu bohren und den leeren Schädel als Orgelpfeife für irgendeine schauerliche Kirchenorgel zu verwenden. Erst als er das Gefühl hatte, jeden einzelnen Bestandteil der Orgel davongeblasen zu haben, nahm er die Finger aus dem Mund und hörte auf.
    Langsam kam der Wald wieder zur Ruhe.
    »Und, geben Sie auf?«, fragte er, obwohl es ziemlich offensichtlich war, dass
El Tunchi
verloren hatte.
    Mitgenommen rappelte
El Tunchi
sich auf, testete seine Ohren – denn er war nun ein wenig schwerhörig – und verbeugte sich feierlich vor John. »Sir«, sagte er. »Hochverehrter Herr.Noch nie habe ich Derartiges vernommen. Nicht in den fünfhundert Jahren, die ich in diesem Wald umgehe. Welch ein Gepfeife. Dabei wird dieser Ausdruck der Sache nicht annähernd gerecht. Meine unterwürfigste Entschuldigung, Sir. Ich werde Sie augenblicklich zu Ihrem Onkel zurückbringen.«
    »Moment noch«, sagte John. »Dieses Pfeifen, um Leuten den Schädel abzujagen, muss aufhören, verstanden? Das gehört sich einfach nicht.«
    »Ja, Sir. Wie Sie wünschen, Sir. Meine Orgel ist fort. Also gibt es auch keinen Grund mehr, ihnen den Schädel abzunehmen.«
    »Versprechen Sie mir, es nie wieder zu tun?«
    »Ja, Sir. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort.«
    John hatte Mitleid mit dem armen Kerl. Jetzt, wo er seine schreckliche Orgel zerstört und ihm verboten hatte, im Wald Menschen zu quälen, war klar, dass
El Tunchi
nichts mehr bleiben würde, womit

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