Die Kinder des Dschinn. Das dunkle Erbe der Inka
mochten.
»Üblicherweise ruft man sich vorher an, um den Bruder oder die Schwester vorzuwarnen«, sagte Nimrod. »Als mir Layla das letzte Mal etwas mit der dschinternen Post geschickt hat, saß ich auf dem Untersuchungsstuhl meines Zahnarztes. Es war überaus peinlich.« Achselzuckend fügte er hinzu: »Andererseits könnte es eine Weile dauern, bis wir Kowalskis Telefonnummer herausfinden. Und in diesem Fall ist Zeit von entscheidender Bedeutung. Je eher sie euren Vater findet, desto eher können wir Virgil Macreeby folgen und ihn aufhalten.«
A uf der S uche nach M r G aunt
Dr. Stanley Kowalski drückte sich von der Wand ab, an der er gelehnt hatte, und reichte Layla Gaunt einen Handspiegel und eine Fotografie, die mehr als ein Jahr vor dem schrecklichen Unfall aufgenommen worden war, bei dem sie ihr ursprüngliches Gesicht und ihren Körper verloren hatte.
Layla sah minutenlang von einem zum anderen und ein breites Lächeln legte sich über ihr Gesicht, als sie sich zum ersten Mal seit Monaten wiedererkannte.
»Es ist kaum zu fassen, wie großartig du gearbeitet hast«, sagte sie. »Ich sehe haargenau so aus wie früher. Haargenau. Es ist überhaupt nicht zu merken, dass dieses Gesicht nicht von Anfang an mein eigenes war. So gut hast du deine Sache gemacht. Du bist wirklich ein Genie unter den plastischen Chirurgen, weißt du das? Ein Genie.«
Dr. Kowalski nahm das Streichholz aus dem Mund, auf dem er lässig herumgekaut hatte, und lächelte bescheiden. »Hör auf.« Weder seine Kleidung noch sein Benehmen hatten viel mit einem Chirurgen gemein. Unter seinem weißen Arztkittel trug er ein einfaches graues T-Shirt , Jeans und schwere Arbeitsstiefel.
»Nein, es ist wahr«, beteuerte Mrs Gaunt. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, es ist Zauberei.«
»Weißt du was?«, sagte Kowalski. »Das sagen alle, die hierherkommen. Wenn sie nur wüssten, hm?«
»Dass du ein Dschinn bist? Wenn sie das wüssten, Stanley, würden sie wahrscheinlich Unmögliches von dir erwarten. Statt der bloßen Wunder, die du tatsächlich vollbringst.«
»Wenn nicht ich, sondern irgendjemand anderes diese Arbeit machen würde, wären solche plastischen Operationen wie die, der du dich gerade unterzogen hast, natürlich unmöglich.« Bescheiden hob der Arzt die Schultern. »Aber die meisten Leute, die zu mir kommen, wollen einfach nur schöner aussehen als vorher. Und nicht wie eine völlig andere Person, so wie du, Layla.«
»Das musst
du
gerade sagen. An dir ist auch nicht mehr viel von dem Jungen, den ich aus der Schule kenne.«
Doktor Kowalski kratzte sich und schob das Streichholz wieder in den Mund. Er war ein ungewöhnlicher Mann, denn er war das genaue Ebenbild eines berühmten – inzwischen verstorbenen – Schauspielers namens Marlon Brando. Nicht des alten Marlon Brando, der in Filmen wie
Der Pate
mitgespielt hatte, sondern des jungen Brando aus Filmen wie
Endstation Sehnsucht
. Vor Jahren hatte Kowalskis Dschinnvater Victor, der im kalifornischen Beverly Hills Schönheitschirurg war, Stanley auf eigenen Wunsch in das Abbild des Schauspielers verwandelt, den viele Leute einmal für den schönsten Mann der Welt gehalten hatten. Doktor Stanley Kowalski sprach sogar wie Marlon Brando.
»Klar hab ich mich verändert«, sagte er achselzuckend. »In positiver Hinsicht. Und weißt du, warum? Weil ich mich wohlfühlen will. Immer leger, das ist mein Motto. Und wenn das nicht geht, dann verändere dich, bis du dich wohlfühlst. Ganz einfach.«
»So wohl wie jetzt habe ich mich in meiner Haut schon lange nicht mehr gefühlt. Und das verdanke ich dir.« Layla betrachtete ihr Profil von beiden Seiten und küsste Kowalski dann auf die Wange.
Kowalski wirkte verlegen.
»Nein, wirklich, ich bin dir sehr dankbar. Also gut. Du kennst mich seit Jahren, Stanley. Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Also sag es mir offen und aufrichtig. Chirurgie ist eine Sache. Ich sehe wieder aus wie ich selbst. Aber bin ich immer noch glamourös?«
»Ich habe noch nie eine Frau getroffen, die nicht gewusst hat, ob sie gut aussieht oder nicht, ohne dass man es ihr gesagt hätte. Klar bist du glamourös, Layla. Wie eh und je. Wunderbar wie ein Sahnebaiser.«
Layla lächelte glücklich. Doch schon im nächsten Augenblick fing sie an zu husten, als wäre sie am Ersticken, und griff sich an die Brust.
»Was ist los?«, fragte Kowalski besorgt. »Alles in Ordnung?«
»Zum Korken noch mal«, keuchte Layla und gab noch ein
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