Die Kinder des Dschinn. Das Rätsel der neunten Kobra
hat.«
»Ja, aber wie sollen wir sie finden, wenn sie auf der Straße lebt wie eine Obdachlose?«, fragte Philippa. »Außerdem ist sie nicht viel älter als wir, was bedeutet, dass sie im Moment wahrscheinlich ebenso wenig Dschinnkräfte hat wie wir.«
»Das stimmt«, gab John zu. »Aber vielleicht kennt sie einen Dschinn, der uns helfen kann. Und was das Finden angeht: Wo sucht man besser nach einem Blatt als in einem Wald?«
»Du hörst dich langsam an wie Mr Rakshasas.«
»Das stammt tatsächlich von ihm«, erklärte John. »Aber was ich damit sagen will, ist: Wir suchen einfach dort nachUma, wo auch viele andere Obdachlose sind. Im Washington Square Park, in der Grand Central Station und an der Lower East Side. Nach dem, was ich neulich in der Zeitung gelesen habe, könnte der Tunnel der U-Bahn -Linie A oder C, der von der Chambers Street Station fortführt, ein günstiger Anfangspunkt sein. Dort unten leben jede Menge Obdachlose. Und noch was. Wir gehen besser nachts los. Dann fallen Obdachlose am meisten auf. Denn wenn sie ein Zuhause hätten, wären sie wahrscheinlich dort und nicht auf der Straße, richtig?«
Sie warteten, bis es dunkel war und sie eigentlich im Bett liegen sollten, ehe sie aus dem Haus schlüpften, weil ihre Eltern einige von Mr Gaunts Bankerfreunden zum Abendessen zu Gast hatten. Sie fuhren mit der U-Bahn -Linie A zur Chambers Street und stellten schnell fest, dass erstens in den New Yorker U-Bahn -Tunnels keine Obdachlosen lebten und dass es zweitens nicht ungefährlich war, sich unter den fünfzigtausend Obdachlosen der Stadt zu bewegen, vor allem bei Nacht. Ein Mann, dem sie vor einem Coffeeshop am Washington Square begegneten, folgte ihnen eine Weile, und obwohl sie ihn bald loswurden, liefen sie immer noch gehetzt und sahen sich ständig nervös um, als sie mehrere Blocks weiter nördlich am Union Square ankamen.
»Das war eine blöde Idee«, sagte John, als er endlich wieder zu Atem kam. »Warum hast du mir das nicht ausgeredet, Phil? So wie du es sonst immer machst, wenn ich eine Schnapsidee habe.«
»Weil du Recht hattest«, erwiderte Philippa und deutete durch die Scheibe einer Bank. Dort, auf dem Boden der Eingangshalle,wo die Geldautomaten standen, saß der verdreckteste Landstreicher, den sie je gesehen hatte; und neben ihm, eingewickelt in einen schmuddeligen Schlafsack, saß ein schlaksiges blondes Mädchen, deren Kleidung eher modisch verschlissen wirkte und die nur halb so schmutzig aussah wie ihr männlicher Begleiter. Es war Uma Karuna Ayer. Beim Anblick der Zwillinge sprang Uma auf, stieg aus ihrem Schlafsack und öffnete die Tür.
»Was, um alles in der Welt, macht ihr denn hier?«, fragte sie.
»Wir suchen dich«, erwiderte John, ohne den Landstreicher hinter ihr aus den Augen zu lassen.
»Hat meine Mutter euch dazu angestiftet?«, wollte Uma wissen.
»Nicht die Bohne«, sagte Philippa. »Wir hatten gehofft, du könntest uns helfen. Ein Freund von uns steckt in der Klemme und braucht Hilfe. Allerdings ist er zwei Zugstunden entfernt und wir können nicht zu ihm, ohne dass unsere Mutter merkt, dass wir fort sind.«
»Das kommt mir irgendwie bekannt vor«, sagte Uma. »Das ist einer der Gründe, warum ich hier bin. Um endlich mal etwas allein zu tun.« Sie seufzte und machte ein betrübtes Gesicht. »Hört mal, ich würde euch ja gern helfen. Aber es ist kalt und ich bin gerade etwas kraft- und saftlos. Bis es wärmer wird, schaffe ich nicht mehr, als eine Tasse Kaffee heraufzubeschwören.«
»Nimm mir die Frage bitte nicht übel«, sagte John. »Aber welchen Sinn hat es, als Eremitin zu leben, wenn du dir nicht mal selbst helfen kannst? Was du tust, ist gefährlich, Uma.«
»Oh, ich komme schon klar. Das Wetter soll in ein paar Tagen besser werden.« Sie sah sich nach ihrem zerzausten Gefährten um. »Bis dahin passt mein Freund Afriel auf mich auf.«
Philippa verzog das Gesicht. »Und wer passt auf Afriel auf? Ihr beiden seht aus, als bräuchtet ihr erst mal eine anständige Mahlzeit.« Mit diesen Worten zog sie für jeden von ihnen zehn Dollar aus ihrem Geldbeutel. »Hier.«
Afriel steckte das Geld ein und zupfte dann mit schmutzigen Fingern an einer Stirnlocke seiner verfilzten gelben Haare. Er roch wie ein getoastetes Käsesandwich. Aus einem seiner Turnschuhe lugte ein dicker Großzeh von der Form und Farbe einer eingelegten Walnuss. Jedes Mal, wenn Philippa ihn ansah, verspürte sie den Wunsch, sich mit einem Taschentuch Mund und Nase
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