Die Kinder des Dschinn. Das Rätsel der neunten Kobra
in der Downing Street Nr. 10 bat Nimrod nicht darum, Mr Widmerpool sehen zu dürfen, sondern Boothby. Der Kater war nirgends zu entdecken, daher erbot sich der Doktor, ihn suchen zu gehen. Nimrod wurde in den Billard Room geführt, wohin ihm etwa zehn bis fünfzehn Minuten später Dr. Warnakulasuriya mit dem Kater auf demArm folgte. Der Doktor mochte keine Katzen; er mochte keine Katzenhaare auf seinen maßgeschneiderten Anzügen; vor allem aber mochte er den Kratzer nicht, den er sich eingehandelt hatte, als das Tier seinem zögerlichen Griff zu entkommen versuchte.
»Au«, sagte der Doktor und saugte das Blut von seinem Handrücken. »Du scheußlicher kleiner Parasit! Wie kannst du es wagen, du undankbares kleines Scheusal.«
Einen Moment lang sah es so aus, als wollte er nach der Katze treten. Doch Nimrod, der den wahren Grund für die Not des Tieres erahnte, hob den Kater hoch. »In diesem Raum spukt es, Doktor«, erklärte er. »Wir sollten uns lieber ein anderes Zimmer suchen, ansonsten wird die Katze niemals lange genug stillhalten, damit ich tun kann, äh … was notwendig ist.«
Der Doktor, der sich in der Downing Street offensichtlich auskannte, führte sie in den Terracotta Room, wo Nimrod, immer noch mit Boothby auf dem Arm, auf einem Sofa Platz nahm und seinen neuen Katzenfreund zu streicheln begann.
»Würden Sie mir bitte diesen Aschenbecher reichen?«, sagte er zum Doktor.
Der Doktor gab ihm den Aschenbecher.
»Sagen Sie, haben Sie dem Premierminister irgendetwas zu trinken gegeben? Ein Glas Wasser vielleicht?«
»Nein. Ich habe ihm den Puls gefühlt – er ging sehr schnell –, eine Blutprobe genommen, die Pupillen und die Zunge überprüft und die Lymphknoten am Hals abgetastet, um zu sehen, ob sie geschwollen sind. Was tatsächlich der Fall war. Und ja, jetzt, wo ich darüber nachdenke, fällt mir ein, dassder Schwefelgeruch, den ich vorhin erwähnte, erst wahrnehmbar war, nachdem ich auf Mr Widmerpools Lymphknoten gedrückt hatte.«
»Das liegt daran, dass die Lymphdrüsen das Zentrum der Besessenheit sind«, sagte Nimrod. »Wo sich der Dschinn niederlässt, sozusagen. Wenn Sie die Drüsen massieren, bewirken Sie, dass der Körper des Premierministers eine Ladung reinen Schwefels ausstößt. Dschinn verfügen im Körper über einen wesentlich höheren Schwefelanteil als Irdische – als Menschen, meine ich. Nur zu Ihrer Information: Der menschliche Körper enthält im Schnitt gerade genug Schwefel, um sämtliche Flöhe eines großen Hundes abzutöten. Ein Dschinn dagegen enthält im Schnitt genug Schwefel, um sämtliche Flöhe eines Wollmammuts abzutöten. Aus diesem Grund haben die Menschen einen wesentlich besseren Geruchssinn als Dschinn. Das ist eines der wenigen Dinge, die ihr Menschen uns voraushabt.«
Nimrod erzählte dem Doktor das alles nicht, um dessen Wissen über die Dschinn zu verbessern – er war im Umgang mit geheimnisvollen Dingen wie jenen, die er gerade beschrieben hatte, vielmehr überaus vorsichtig –, sondern weil er merkte, dass seine tiefe, sonore Stimme die Katze zu beruhigen schien. Boothby sollte sich so weit entspannen, dass Nimrod seine Schnurrhaare berühren konnte.
Eine Katze hat vierundzwanzig bewegliche Barthaare, zwölf auf jeder Seite der Nase, und Nimrod benötigte sieben davon, um das Ritual einer Dschinn-Austreibung zu vollziehen. Dieses ist auch unter dem Begriff
Katto
bekannt, wenn auch aus Gründen, die mit Katzen nicht das Geringste zu tun haben.Nimrod war kein grausamer Mensch und er bedauerte, dass dieses Ritual den Einsatz von Dschinnkräften zur Erlangung der Schnurrhaare untersagte, da Boothby mit ziemlicher Sicherheit etwas dagegen haben würde, fast ein Drittel seiner Tasthaarausstattung hergeben zu müssen. Noch während er mit dem Doktor sprach, überlegte Nimrod, wie er Boothby nach dem Raub seiner Schnurrhaare wieder versöhnen könnte.
»Vergeben Sie mir mein Drängen, Sir«, sagte Dr. Warnakulasuriya und sah angespannt zur Decke, »aber die Situation eilt ein wenig. Der Premierminister erwartet den deutschen Bundeskanzler zum Lunch. Vielleicht könnten Sie ihn sich jetzt ansehen und entscheiden, was getan werden muss.«
Dr. Warnakulasuriya lächelte nervös. Er hatte keine Ahnung, warum Nimrod diese Katze für so wichtig hielt, wo doch ein Stockwerk höher der Premier daherplapperte wie ein freches Schulmädchen. Gleichzeitig aber wusste er, dass manchen Dschinn ein ungemein hitziges Gemüt nachgesagt
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