Die Kinder des Dschinn. Das Rätsel der neunten Kobra
Kinder bereits Jagannatha erzählt hatten. »Und ich habe mich oft als Einarmiger ausgegeben, um das bei einigen meiner Zaubertricks einzusetzen.« Jetzt drückte Groanin die Hände des Gurus. »Ich entschuldige mich für dieses Täuschungsmanöver, Sir. Aber wie Sie sehen, müssen Sie mich mit jemandem verwechselt haben. Ganz bestimmt.« Groanin lächelte und gestattete sich einen kleinen Witz. »Schließlich kann mir ja schlecht seit gestern ein neuer Körperteil gewachsen sein, nicht wahr?«
Guru Masamjhasara ließ Groanins Hände los und packte seinen Bart, den er drehte, als wollte er einen Gedanken oder einen Einfall aus dem grauen Gestrüpp wringen. Stattdessen löste sich das Maiskorn und fiel in den grauen Pelz, der auf seinem Brustkasten spross wie ein Haufen alter Sprungfedern. »Nein, das geht wohl nicht, Mr Gupta. Falls das wirklich Ihr Name ist. Da stimme ich Ihnen zu.
Wachsen
kann Ihnen ein neuer Körperteil nicht. Aber vielleicht wurde er
von einem Dschinn angefügt
?«
»Von einem Dschinn?«
Groanin tat, als müsste er sich einLächeln verkneifen. »Nun ja, Sir. Wenn man an die Existenz solcher Wesen glaubt, dann hätte ein Dschinn das wahrscheinlich tun können.«
»Oh, sie existieren ganz bestimmt«, sagte Guru Masamjhasara. »Das weiß ich. Ich bin selbst schon einem begegnet. Wie Sie vielleicht auch.«
»Ich, Sir?« Groanin lächelte. »O nein, Sir. Ich bin nur ein einfacher Mann und verstehe nichts von solchen Dingen. Von meiner Mutter habe ich gelernt, dass nur die hohen Brahmanen und Heilige Dschinns sehen können.«
»Es sei denn …« Der Guru hörte Groanin gar nicht zu. »Es sei denn, Sie sind selbst ein Dschinn. Das würde auch Ihren kleinen Seiltrick im Aufzug heute Nachmittag erklären.« Er kicherte. »O ja. Ich habe davon gehört. Meine Anhänger erzählen mir alles.«
»Das war wirklich nur ein dummer Streich, Sir«, beteuerte Groanin. »Den indischen Seiltrick wende ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit an. Um in Übung zu bleiben, sozusagen. Hören Sie, Sir. Ich bin kein Dschinn. Ich bin nur ein einfacher Mann.«
»Dann macht es Ihnen sicher nichts aus, sich auf meinen Zahnarztstuhl zu setzen, damit ich Ihren Mund untersuchen kann«, sagte der Guru und bedeutete den beiden
Sadhaks
, Groanin zum Stuhl in der Mitte des Heiligtums zu führen.
Groanin hatte Zahnärzte noch nie leiden können. Alles an ihnen war ihm ein Graus: ihre quietschsauberen Finger, ihr dummes Geplapper, ihr nervtötend strahlendes Lächeln und ihre fiesen kleinen Folterinstrumente; am allermeisten aber verabscheute er den Geruch von frisch aufgebohrten Zähnen,der bei Groanin, mit seiner scharfen Nase, alle möglichen unangenehmen Erinnerungen an seine Kindheit in Manchester wachrief.
»Was haben Sie vor?«, rief er, als man ihn auf den Stuhl hob.
Der Guru pulte einen Moment geistesabwesend in der Nase, verspeiste das schleimige Resultat und nahm dann von einem Instrumententablett einen Zahnarzthaken, mit dem er sich dem Butler näherte. »Ganz ruhig«, sagte er. »Ich möchte nur nachsehen, ob Sie noch alle Zähne haben.«
»Zähne?«, sagte Groanin. »Was haben meine Zähne damit zu tun?« Natürlich wusste er ganz genau, was Guru Masamjhasara überprüfen wollte, hielt es aber für besser, sich in Bezug auf das Tun und Treiben von Dschinn weiter dumm zu stellen – vor allem darüber, dass keiner von ihnen Weisheitszähne besitzt. Dennoch war er alles andere als glücklich über die Vorstellung, dass der Guru ihm seine schmutzigen Finger in den Mund stecken wollte, insbesondere jenen, der gerade erst grün und klebrig aus seinem Nasenloch zurückgekehrt war.
»Die meisten Leute glauben, ich hätte diesen Stuhl aus reiner Bequemlichkeit«, murmelte der Guru und spähte Groanin in den Mund. »Aber natürlich dient er einem doppelten Zweck, wie Sie gleich feststellen werden.«
Da er nicht annahm, dass der Guru ihn wirklich foltern wollte – was ein Glück war, weil Groanin ihm zweifelsohne alles erzählt hätte, was er hören wollte –, duldete er widerstrebend die Untersuchung seiner Mundhöhle.
»Du meine Güte«, sagte der Guru und verzog angewidert das Gesicht. »Was hatten Sie zum Abendessen?«
Groanin versuchte zu antworten. Er gab sich alle Mühe, »Das musst du gerade sagen, du altes Stinktier« herauszupressen, doch mit den Fingern des Gurus und dem Zahnarzthaken im Mund war das unmöglich.
Als die zahnärztliche Untersuchung beendet war, trat der Guru zurück, wischte sich
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