Die Kinder des Dschinn. Entführt ins Reich der Dongxi
Tafel nie finden.« Er seufzte tief. »Das ist wirklich eine ganz, ganz aussichtslose Sache.«
»Was haben Sie gesagt?«
»Ich sagte, dass wir die Reise wohl völlig umsonst gemacht haben.«
»Nein, Sie haben noch etwas gesagt.« Irgendetwas klingelte bei Philippa. Aber was war es? »Irgendetwas Wichtiges.«
Marco zuckte stumm die Achseln.
»Hören Sie. Ich habe keinen Fehler gemacht«, sagte Philippa. »Das kann nicht sein. Aber möglicherweise haben wir die Bedeutung der Worte noch nicht richtig verstanden.«
Sie ging vor der Höhle auf und ab und blickte den Gänsen nach, die sich auf der Suche nach Futter vom Felsen abstießen. Plötzlich stieß sie einen Jubelschrei aus.
»Was ist?«, rief Marco.
»Der große Stein!«, antwortete sie. »Es ist gar kein einzelner Stein in der Höhle gemeint. Die ganze Höhle ist DER GROSSE STEIN! Sehen Sie nur.« Und sie deutete auf die Höhle.
Marco stellte sich neben sie. »Ja, du hast recht«, bestätigte er. »Aber was erklärt das genau?«
»Alles«, beharrte Philippa. »Verstehen Sie denn nicht? Wir müssen nicht nach einem großen Stein Ausschau halten, sondern den Felsen als Ganzes absuchen. Wahrscheinlich befindet sich die Tafel nicht
in
der Höhle, sondern obendrauf!«
Unsicher beäugten sie die Gänse, die auf dem Höhlendach brüteten. Eine von ihnen – sie hatte die Größe eines Deutschen Schäferhundes, vielleicht sogar die eines deutschen Schäfers – hockte auf einem Nest, das größer war als alle anderen und sich auf einem kleinen Steinplateau befand. Die Gefahr erahnend, zischte sie laut und schlug warnend mit den Flügeln. Es hörte sich an, als flatterten schwere Badetücher im Wind.
Philippa und Marco starrten weiter hinauf. Und je länger sie hinsah, desto klarer wurde Philippa, dass dies ein perfekter Ort war, um etwas Wertvolles zu verstecken. Schließlich sind brütende Gänse für ihre Aggressivität berühmt. Philippa erinnerte sich, sogar in der Schule etwas über eine Schar Wildgänse gelesen zu haben, deren Geschrei die Stadt Rom vor einem Überfall durch die Barbaren gerettet hatte. Und das erzählte sie Marco.
»Ganz richtig«, sagte dieser. »Ich kenne sie noch aus meiner eigenen Schulzeit. Die Geschichte von Marius Manlius und den heiligen Gänsen der Juno. Sie ist eine der berühmtesten Erzählungen der römischen Geschichte und wird in Vergils großem Gedicht
Die Aeneis
erwähnt
:
›Auf der tarpeiischen Burg stand hoch als Wächter am Tempel/Manlius und hielt Roms kapitolische Höhn in Gewahrsam./Aber die silberne Gans, durch die goldumschimmerten Hallen/Flatternd, verkündete laut, dass Gallier stehn auf der Schwelle.‹
So ähnlich jedenfalls. Tückische Viecher, diese Gänse. Aber schmecken tun sie gut.«
»Wir müssen unter dem großen Nest dort nachsehen«, sagte Philippa.
Marco nickte zustimmend, während die wachsame Gans sie weiter misstrauisch beobachtete. Philippa zweifelte nicht einen Augenblick daran, dass sie ihnen einen scharfen Schnabelhieb verpassen würde, sobald sie ihr zu nahe kamen. Einen Schnabelhieb oder noch Schlimmeres. Schließlich kann eine Gans einem Menschen mit einem kräftigen Flügelschlag den Arm brechen.
»Aber wie sollen wir die Gans lange genug von ihrem Nest weglocken, um nachzusehen, was darunter ist?«, fragte Philippa. Sie war ein kluges Mädchen, aber sie war nicht grausam, besonders, was Tiere anbetraf.
Marco Polo, der aus einer ganz anderen Zeit stammte, hatte diesbezüglich keine Hemmungen. »Ganz einfach«, sagte er und fing an, die Gans mit Steinen zu bewerfen.
Das Tier erhob sich, begann laut zu schreien, kassierte einen Treffer gegen die Brust, schlug mit den Flügeln, bekam einen weiteren, gut gezielten Stein an den Kopf, und ehe Philippa gegen Marcos Grausamkeit protestieren konnte, flog es unbeschadet davon.
»Komm«, sagte Marco. »Sehen wir nach, bevor sie zurückkommt.«
Sie taten ihr Bestes, um das Nest mit den Eiern vorsichtig zur Seite zu rücken, damit die Mutter es später wieder in Besitz nehmen konnte. Ihre Bemühungen wurden durch die Unmengen von Gänsedreck erschwert, mit dem das kleine Plateau bedeckt war; und sie begriffen nur allzu bald, dass die Gänse wirklich schon seit Ewigkeiten an dieser Stelle brüten mussten. Philippa begann mit ihrer Schaufel zu graben und hielt sich dabei die Nase zu.
»Ein Glück, dass ich sie dabeihabe«, meinte sie. »Das mit bloßen Händen machen zu müssen, wäre grauenvoll.«
Im Gestein unter dem Nest befand
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