Die Kinder des Dschinn. Entführt ins Reich der Dongxi
Umgang mit drei freien Wünschen erfordert ebenfalls ein hohes Maß an Klugheit. Vielleicht ist es gar nicht immer gut, genau das zu bekommen, was man sich wünscht. Und ein gutes Rückgrat ist, glaube ich, besser als schlechte Wünsche.«
»Mit Ihrer Weisheit, Leo, könnten Sie selbst ein Dschinn sein.«
Sie erreichten Bannermann’s Island in den frühen Morgenstunden. Die graue Dämmerung brach gerade an und um das gespenstisch wirkende düstere Gemäuer in der Mitte der Insel war alles ruhig und still, genau so, wie John es in Erinnerung hatte. Das Grab, in dem er und Dybbuk Felicias Butler Max (der im Übrigen ein Gorilla gewesen war) begraben hatten, schmückten jetzt ein affenförmiger Grabstein und einige frisch gepflückte schwarze und weiße Blumen, die John anzudeuten schienen, dass Felicia dieses Mal wohl anwesend war.
»Was ist, wenn Dybbuks Tante Felicia hier ist?«, fragte er, während sie leise durch die riesige Eingangstür in die große Halle traten.
»Ich bezweifle, dass sie uns bemerken wird«, sagte Mr Rakshasas. »Das ist der Vorteil daran, ein Geist zu sein, meinJunge. Man muss schon ordentlich Krawall machen, um bemerkt zu werden. Außerdem kenne ich Felicia. Ihr Gehör ist in den letzten fünfzig Jahren nicht das beste.«
Sie gingen in das große Wohnzimmer, wo in dem riesigen Kamin noch die Überreste eines Feuers glommen, und setzten sich unter das schwarz-weiße Ölgemälde von Faustina. John fand, dass sie Dybbuk sogar noch ähnlicher sah, als er es in Erinnerung hatte. Eigenwillig und trotzig. Es war kaum zu glauben, dass sie vielleicht auch da gewesen war, als er sich das letzte Mal in diesem Zimmer aufgehalten hatte. Unsichtbar und lautlos, als Geist, der sie beobachtete.
»Meinen Sie, wir sollten nach ihr rufen?«, fragte John Mr Rakshasas.
»Wenn sie hier ist, wird sie kommen. Denk immer daran, dass das stille Schwein am meisten frisst.« Mr Rakshasas lehnte sich auf dem Sofa zurück und gähnte. »Ruh dich ein wenig aus. Leg die Füße hoch und genieße das Feuer.«
»Ich kann nicht«, sagte John. »Es erinnert mich an die Indianer im Wald. Vor allem meine Füße.«
»In diesem Zimmer ließ es sich schon immer gut warten«, murmelte Mr Rakshasas und schloss die Augen.
Doch sie mussten nicht lange warten.
»Wer seid ihr?«, fragte eine Stimme. »Und könnt ihr mir bitte verraten, was ihr hier macht?«
Faustina war größer, als John es nach ihrem Porträt vermutet hätte, aber auch viel schöner. Wer immer der Maler gewesen war, hatte in ihrem Gesicht etwas Wichtiges übersehen. Man hatte nur die eine Seite ihrer Persönlichkeit eingefangen – die Schattenseite – und die andere, die freundlichere und fröhlichere,übergangen. Ganz zu schweigen von ihrer Schönheit. John fand, dass sie genauso aussah wie an dem Tag, an dem ihr Geist ihren Dschinnkörper verlassen hatte: wie ein zwölfjähriges Mädchen. Trotzdem wusste er, dass ihre Geburt vierundzwanzig Jahre zurücklag. War sie nun vierundzwanzig oder zwölf? Er hoffte sehr auf Letzteres und er spürte, wie sein Herz für einen Moment aussetzte, als er aufstand und ihr zum ersten Mal in die grauen Augen sah.
»Ich heiße John«, sagte er ein wenig unbeholfen. »Ich bin ein Freund deines Bruders Dybbuk.«
»Du warst schon einmal hier, nicht wahr?«
»Ja. Vor ein paar Wochen.«
»Du kamst mir gleich bekannt vor.«
»Wir sind gekommen, um dich nach Hause zu holen«, sagte er. »Damit du deinen Körper wieder in Besitz nehmen kannst.«
»Zwölf Jahre sind eine lange Zeit«, sagte Faustina. »Und wenn ich nicht nach Hause möchte?«
»Willst du denn nicht?«, fragte John angespannt. »Nach Hause, meine ich?«
Faustina stieß einen Stoßseufzer aus. Ein wenig schwerfällig setzte sie sich ihren drei Besuchern gegenüber. »Doch«, sagte sie. »Zuerst habe ich gebetet, dass jemand kommen und mich nach Hause holen würde. Aber niemand kam.« Faustina begann zu weinen. »Niemand kam.«
»Aber jetzt sind wir gekommen«, sagte John. »Er setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern. »Jetzt sind wir gekommen.« Dann erzählte er ihr, dass Nimrod und Philippa nach London gefahren waren, um ihren Körper aus dem Wachsfigurenkabinett zu holen, wo sie ihn zurückgelassenhatte, um mutwillig in den britischen Premierminister einzufahren.
Als Faustina sich schließlich beruhigte, fuhr sie sich über die Augen, putzte sich die Nase und sagte: »Mir ist nicht klar, wie ihr mir helfen wollt. Ich habe
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