Die Kinder des Dschinn. Entführt ins Reich der Dongxi
Buch, aus dem ein großes blauseidenes Lesezeichen mit einer goldenen Münze am Ende heraushing. Er war ein großer Mann, mit hellem, schütterem Haar, einem weiblichen Zug um die Augen und einem großen Grübchen mitten auf dem Kinn.
»Dieses Gemälde von Kardinal Marrone stammt von dem berühmten italienischen Maler Niccolo Pollo«, erklärte sie. »Doch bevor er Kardinal wurde, war Pater Marrone, wie er damals hieß, einer meiner Vorgänger, der Hüter der Reliquienkammer. Mir war nicht wohl dabei, an einem Ort, für den er so viel getan hat, offen über ihn zu sprechen. Denn um ehrlich zu sein, muss ich sagen, dass er als Priester nicht viel getaugt hat. Ihm war viel zu sehr daran gelegen, die schönen Seiten des Lebens zu genießen, als sich für geistige Angelegenheiten zu interessieren.
Pater Marrone kam in Venedig als Sohn eines italienischen Vaters und einer englischen Lady zur Welt. Was vielleicht erklärt, warum er ein guter Freund von Lord Byron wurde, einem Mann, der einmal als »verrückt, schlecht und gefährlich« beschrieben wurde. Für einen jungen Priester war er ganz besonders gefährlich. Immer wieder gingen die beiden auf Zechtourund sprangen hinterher in den Canal Grande, um zu sehen, wer am schnellsten hinüberschwimmen konnte. Pater Marrone war, genau wie Lord Byron, ein ausgezeichneter Schwimmer. Es heißt, er konnte vier Minuten lang die Luft anhalten und sei oft nachts schwimmen gegangen.
Allen war klar, dass Pater Marrone es in der Kirche nicht weit bringen würde. Trotzdem fuhr er 1816 nach Rom und wurde kurz darauf zum Bischof geweiht. Niemand konnte erklären, warum. Doch das war noch nicht das Ende seiner Karriere. Er wurde sehr schnell zum Erzbischof und dann zum Kardinal ernannt. Selbst Papst hätte er werden können, heißt es, aber das habe er abgelehnt, weil er zu faul war. Außerdem wurde er sehr reich. Die Renovierung des Markusdoms im Jahr 1820 hat Kardinal Marrone bezahlt. Aber auch dabei konnte niemand erklären, woher sein Reichtum stammte, und es bleibt bis heute ein venezianisches Rätsel.
Es gab Leute, die glaubten, er habe in der Reliquienkammer irgendetwas Wertvolles entdeckt«, fuhr Schwester Cristina fort. »Aber es wurde nie etwas vermisst oder bewiesen.«
Sie sah Marco Polo an. In seiner Aufmachung aus dem vierzehnten Jahrhundert war dieser durchaus einen Blick wert, doch dies war Venedig, die Stadt des berühmten Karnevals, wo prachtvolle Kostüme nichts Ungewöhnliches waren, daher achtete niemand in der Galerie weiter auf den ehrwürdigen Entdecker. »Ich habe nachgedacht«, sagte Schwester Cristina. »Wenn es wirklich Pater Marrone war, dem Sie beim ersten Mal Ihre Geschichte erzählt haben – und das Datum, das Sie genannt haben, würde durchaus passen –, dann hat er vielleicht diese goldene Tafel gefunden, die Sie verloren haben.«
»Aber klar«, sagte John. »Als Marco ihm von der goldenen Tafel erzählt hat, muss er sich zusammengereimt haben, wo sie ist, und hat nach ihr gesucht. Für einen Mann, der vier Minuten lang die Luft anhalten konnte, muss das ein Klacks gewesen sein.«
»Haben Sie ihm erzählt, wo und in welchem Kanal Sie die Tafel verloren haben?«
»Ma certo«
, sagte Marco. »Natürlich. Er war doch ein Priester. Vor einem Priester hat man keine Geheimnisse.«
»Würde der Besitz der goldenen Tafel den schnellen Aufstieg des Priesters innerhalb der Kirche erklären?«, fragte Nimrod.
»Ganz sicher«, erwiderte Marco Polo. »Die Macht und der Einfluss, den die goldene Tafel einem Mann zu verleihen vermag, sind grenzenlos. Ich selbst hätte der Doge von Venedig werden können, wenn ich gewollt hätte. Und ich vermute, die fünf goldenen Tafeln waren einer der Gründe, warum der große Kublai Khan der große Kublai Khan war. Seine Macht wirkte immer ein wenig überirdisch.«
»Wenn er die goldene Tafel wirklich besaß«, sagte Nimrod, »stellt sich die Frage, was Pater Marrone damit gemacht hat.«
»Vielleicht findet sich die Antwort hier«, sagte Schwester Cristina. Sie führte sie zum nächsten Gemälde, auf dem der Dogenpalast abgebildet war. Vor dem Palast, der in der venezianischen Sonne golden schimmerte, befanden sich vier Bauern, die einen der Grundsteine zu betrachten schienen, auf dem eine scheinbar unsinnige mathematische Gleichung stand:
XI + I = X.
»Das Bild stammt von Riccardo Furbogigione«, sagte Schwester Cristina. »Es ist eine Leihgabe der Galleria Barberini in Rom und heißt ›Vecchio Vista di
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