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Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon

Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon

Titel: Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. B. Kerr
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dass sich ihr Gefangener bequem darin einrichtet. Sie hat mir ein Bett, einen Stuhl und ein Buch aus ihrer Bibliothek mitgegeben.
Ein
Buch für all die Jahre in dieser muffigen Flasche. Und weißt du, was für eins?«
    Ich zog die Schultern hoch. »Ein dickes hoffentlich«, sagte ich.
    »
Der Mann mit der eisernen Maske
von Alexandre Dumas.« Er stampfte mit seinen kleinen kubanischen Stiefeln auf den Boden wie ein bockiges Kind. »Ich muss das lausige Buch mehr als hundertmal gelesen haben. So oft, dass ich es auswendig hersagen kann. Von vorn bis hinten.« Er presste die Hände mit den üppig beringten Fingern vor der Brust zusammen, und einen Moment lang sah er fast aus wie ein Priester. »In den ersten fünf Jahren habe ich mir gelobt, meinem Befreier – wer immer es sein mochte – für alle Zeit als Sklave zu dienen. In den nächsten fünf Jahren dachte ich aber eher daran, ihn zu vernichten.« Wieder lächelte Mr   Poussin, und diesmal war sein Atem so widerwärtig, dass ich fast ohnmächtig wurde. Es war klar, dass Ayesha auch nicht an Zahnbürste und Zahnpasta für ihren Gefangenen gedacht hatte. »Rate, zu welchem Zeitpunkt du gekommen bist? Genau! Am Ende der zweiten fünf Jahre.« Er knabberte aufgeregt an seinem Daumennagel. »Und besonders freut mich, dass du ein weiblicher Dschinn bist, denn weibliche Dschinn hasse ich alle. Das hast du Ayesha zu verdanken.«
    Mr   Poussin stieß ein Gelächter aus, dass es mir kalt über den Rücken lief. Seine Augen leuchteten auf wie glühende Kohlen, und bevor ich weglaufen konnte, hatte er mich am Arm gepackt.
    »Zuerst werde ich dich in eine Maus verwandeln. Dann verwandle ich mich in eine Katze, damit ich genüsslich mit dir spielen kann, bevor ich dich töte.«
    Ich sah keine andere Möglichkeit, als mich Ravioli Poussin zu stellen. Ich musste bluffen wie in einem Dschinnverso-Spiel. »Ich glaube, Sie sind der dämlichste Dschinn, den ich überhaupt je getroffen habe«, sagte ich und das Herz schlug mir bis zum Hals. »Also, wenn ich die letzten zehn Jahre mit nichts weiter als mit dem
Mann mit der eisernen Maske
verbracht hätte, dann würde ich als Erstes eine neue Geschichte hören wollen. Und zwar so dringend, dass ich alles andere verschieben würde: die Haare aus den Ohren schnippeln, die Zähne putzen, die Haare schneiden lassen oder irgendeine nebensächliche Person in eine Maus verwandeln.« Ich zog möglichst lässig die Schultern hoch, so lässig ich konnte in einer Situation, in der ich um mein Leben fürchtete. »Aber ich weiß nicht, vielleicht ist
Der Mann mit der eisernen Maske
ja Ihr Lieblingsbuch. Und warum auch nicht? Es ist ein großartiges Buch.«
    »Ein grässliches!«, tönte Ravioli Poussin. »Ich glaube, ich falle tot um, wenn ich es noch mal lesen muss.« Er zog mich näher an sich heran – so nah, dass ich den käsigen Atem aus seinem Mund riechen konnte. »Kennst du gute Geschichten?«
    »Ich bin ein Kind«, sagte ich. »Klar kenne ich Geschichten. Mein ganzes Leben hat mit Geschichten zu tun. Meine Eltern lesen Geschichten vor, ich höre Bücher auf Kassetten an, ich lese Bücher aus unserer Buchhandlung und aus unserer Bibliothek. Ich bin praktisch die Geschichtenprinzessin der Madison Avenue. Und die Madison Avenue – falls Sie das nichtwissen – ist der Geschichtenerzähl-Mittelpunkt der Geschichtenerzähl-Metropole der Welt. New York ist ein Sammelbecken von Geschichten.«
    »Na schön«, sagte Mr   Poussin und nahm meine versteckte Herausforderung an. »Dann erzähl mir eine Geschichte. Und wenn es eine gute ist, bringe ich dich nicht um. Wie findest du das?«
    »Nur fair«, sagte ich. »Sitzen Sie also bequem?«
    Der unangenehme Dschinn, den ich blöderweise befreit hatte und der immer noch vor mir stand, setzte sich jetzt auf eine Steinbank zwischen zwei Lavendelbüschen und verschränkte erwartungsvoll die Arme.
    »Dann fange ich also an«, sagte ich. »Es war einmal   …« Ich zermartete mir das Hirn nach einer Geschichte, die möglichst mehrere Stunden dauern würde. Es konnte ja immerhin leicht sein, dass Ravioli Poussin, sobald ich zum Schluss käme und sagte »sie lebten glücklich bis an ihr Ende«, das als Stichwort auffassen würde, mich zu töten. Es war also ganz in meinem Interesse, die Geschichte so lange wie möglich auszudehnen, denn dass er mich vor dem Ende töten würde, hielt ich für unwahrscheinlich. Das Problem war nur: In kreativem Schreiben war ich nie besonders gut. In der Schule interessiert

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