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Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon

Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon

Titel: Die Kinder des Dschinn. Gefangen im Palast von Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. B. Kerr
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man sich weniger für so etwas, sondern mehr dafür, ob einer viele Fakten aufzählen kann. Als ob Faktenwissen alles wäre und Geschichtenerzählen gar nichts, wo doch jeder weiß, dass das Gegenteil der Fall ist. Meine Geschichte war also nicht selbst ausgedacht, zum Glück aber hatte ich schon immer gern und viel gelesen. Es wurde eine Art Mischung aus
Oliver Twist
und
Große Erwartungen
(beides Romane von CharlesDickens), aber mit zusätzlichen Passagen, um meinen Zuhörer zufrieden zu stellen. So flocht ich zusätzlich Schwertkämpfe ein, von der Art, wie sie im
Mann mit der eisernen Maske
ziemlich regelmäßig vorkommen – sonst hätte er vielleicht bald gegähnt und ein gelangweiltes Gesicht gezogen. Ich hatte gehofft, Ravioli Poussin würde früher oder später einschlafen oder nach einer Fünf-Minuten-Pause verlangen und ich hätte mich bei dieser Gelegenheit verdrücken können. Aber solches Glück hatte ich nicht, und nach einem Sechs-Stunden-Erzählmarathon musste ich einen Moment innehalten.
    »Ich hoffe, das ist nicht das Ende der Geschichte«, sagte Mr   Poussin und zupfte ärgerlich an ein paar langen Haaren, die in einer seiner kleinen Hände wuchsen.
    »Ich brauche nur einen Schluck zu trinken. Meine Kehle ist ganz ausgedörrt.«
    »Besser eine ausgedörrte Kehle als eine durchgeschnittene«, sagte Mr   Poussin und rückte seine Sonnenbrille zurecht.
    »Oh. Ja. Sicher. Eigentlich hat die Geschichte ja auch erst angefangen.«
    »Dort in der Mauer ist ein Wasserhahn, den der Gärtner immer benutzt«, sagte Mr   Poussin, der die nervige Angewohnheit hatte, mit einem Klappmesser seine langen Fingernägel und das Innere seiner Ohren zu säubern. Er pulte Ohrenschmalz aus seinem linken Ohr, knetete es zu einem Klumpen von der Größe eines Würfelzuckers, schnipste ihn in die Büsche und deutete auf eine Stelle hinter mich. »Da kannst du trinken, wenn du unbedingt musst.«
    Ich stand also auf, ging zu der Mauer und sah dort einenMessingwasserhahn. Als ich ausgiebig getrunken hatte, entdeckte ich auch eine versteckte Treppe, die zur nächstunteren Ebene zu führen schien.
    »Beeil dich«, donnerte Mr   Poussin, und als er sah, dass ich einen verstohlenen Blick zu der Treppe hin warf, fügte er hinzu: »Wenn du unbedingt wissen willst, was da unten ist: Es ist die Bocca Veritas, nach der du gefragt hast. Würdest du jetzt davor stehen, würde sie dir verraten, dass es für deine Zukunft trübe aussieht, falls die Geschichte nicht binnen zehn Sekunden weitergeht.«
    »Haben Sie doch mal ein bisschen Geduld«, sagte ich und ließ mich wieder vor Mr   Poussin nieder.
    »Geduld?«, kreischte er los. »Red mir nicht von Geduld. Nach zehn Jahren in dieser Flasche habe ich genug von Geduld. Für immer.«
    Ich kehrte wieder zu meiner Geschichte zurück.
    Weitere acht Stunden vergingen und Mr   Poussin ließ keine Spur von Schläfrigkeit oder Ermüdung erkennen. Allerdings war
ich
inzwischen ziemlich erschöpft und fing an, immer mehr Schwertkämpfe in meine improvisierte Geschichte einzubauen, um mich selber wach zu halten. Mit solchen Geschichten kennt John sich viel besser aus.
    Dann, gerade als ich dachte, ich kann nun wirklich nicht mehr weitererzählen, tauchte Ayesha im Garten auf, dicht gefolgt von Miss Glovejob. Anscheinend hatte der unsichtbare Gärtner meine verzweifelte Lage erkannt und Ayesha gemeldet, dass Ravioli Poussin frei war. Sie war sehr böse – auf mich und auf Mr   Poussin, der bereits um Gnade bat. Aber nachdem ich alles erklärt hatte, dass ich nämlich schon den ganzen Taglang erzählte, aus Angst, Mr   Poussin würde mich töten, lachte Ayesha laut auf.
    »Vielleicht lehrt dich das, nicht herumzustrolchen und fremde Dschinn zu befreien, die zum Schutz anderer eingesperrt sind. Nicht, dass dir dieser Ifrit etwas hätte tun können. Ich bin der einzige Dschinn, der an diesem Ort seine Kräfte anwenden kann. Er ist hier völlig machtlos. Und das weiß er auch.«
    »Aber er hat gesagt, dass er mich töten werde«, sagte ich. »Dass er mich in eine Maus verwandeln werde und sich selbst in eine Katze und dass er mich vorher jagen und mit mir spielen werde.«
    Ayesha lachte wieder. »Er kann dich ebenso wenig in eine Maus verwandeln, wie Miss Glovejob das tun kann.«
    »Also, nein wirklich!«, sagte ich und funkelte Ravioli Poussin wütend an, der jetzt auf den Knien vor Ayesha lag und um Gnade winselte. »Bitte, Ayesha«, flehte er und riss seine Sonnenbrille herunter. »Bitte

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