Die Kinder des Kapitän Grant
im Nebeldunst verschwimmende Strahlen. Nach und nach ward es dunkel. Die ganze Gesellschaft zog unter Führung Paganel’s in die breiten Straßen Seymours ein. Derselbe schien stets auch das völlig zu kennen, was er noch nie zuvor gesehen hatte. Ihn leitete sein Instinct und er kam direct vor Campell’s »North British Hôtel« an.
Die Pferde und Ochsen wurden in die Ställe geführt, der Wagen untergebracht, die Reisenden aber erhielten ganz erträglich hübsche Zimmer. Gegen zehn Uhr nahmen Alle an einer Tafel Platz, über welche Olbinett seinen Kennerblick schweifen ließ.
Paganel hatte schon mit Robert das Städtchen durchstreift und berichtete mit sehr lakonischer Kürze über den Eindruck, den er nächtlicher Weile empfangen hatte. Er hatte nämlich gar Nichts gesehen.
Dennoch hätte, wer weniger zerstreut war, als er, wohl eine gewisse Bewegung in den Straßen von Seymour bemerken müssen; da und dort hatten sich Gruppen gebildet, die nach und nach anwuchsen; man sprach vor den Hausthüren; man befragte sich mit offenbarer Unruhe; einige Tagesblätter wurden laut vorgelesen, erläutert und besprochen. Diese Symptome konnten auch dem unaufmerksamsten Beobachter nicht entgehen; Paganel aber hatte darin nichts Besonderes gefunden.
Der Major unterrichtete sich, ohne so weit zu gehen, ja, ohne das Haus zu verlassen, über die gerechtfertigten Befürchtungen der kleinen Stadt. Nach einem Gespräche von zehn Minuten mit dem geschwätzigen Dickson, dem Oberkellner des Hôtels, wußte er, woran er war. Aber er verlor darüber zunächst nicht ein Wort.
Erst als nach aufgehobener Tafel Lady Glenarvan, Mary und Robert Grant sich auf ihre Zimmer zurückgezogen hatten, hielt der Major seine Genossen zurück und sagte:
»Man kennt nun die Urheber des Verbrechens auf der Sandhurster Bahn.
– Sie sind gefangen? fragte lebhaft Ayrton.
– Nein, entgegnete Mac Nabbs, ohne daß er den Eifer des Quartiermeisters zu bemerken schien, ein Eifer, der doch unter den gegebenen Verhältnissen ganz begründet erschien.
– Desto schlimmer, meinte Ayrton.
– Nun, fragte Glenarvan, wen klagt man dieser Unthat an?
– Lesen Sie, erwiderte der Major, der ihm eine Nummer der ›Australian and New-Zealand Gazette‹ hinhielt, und Sie werden sehen, daß der Polizei-Inspector sich nicht getäuscht hat.«
Glenarvan las folgende Stelle laut vor:
»Sidney, am 2. Januar 1866. – Man erinnert sich, daß in der Nacht vom 29. zum 30. des vergangenen December an der Camden-Brücke ein Unglück stattgefunden hat, das heißt fünf Meilen oberhalb der Station Castlemaine, an der Eisenbahn von Melbourne nach Sandhurst. Der mit voller Schnelligkeit dahinfahrende Nachtschnellzug von elf Uhr fünfundvierzig Minuten ist in den Luttonfluß hinabgestürzt.
Die Camden-Brücke ist beim Passiren des Zuges offen gewesen.
Zahlreiche Diebstähle nach dem Unfall, und die Auffindung der Leiche des Bahnwärters eine halbe Meile von der Brücke, deuten darauf hin, daß diese Katastrophe die Folge eines schweren Verbrechens sei.
Wirklich geht aus der Untersuchung des Coroners hervor, daß dasselbe einer Bande Sträflinge zuzuschreiben ist, welche seit sechs Monaten aus dem Besserungshause in Perth, West-Australien, in dem Augenblicke entsprungen sind, als sie nach der Insel Norfolk übergeführt werden sollten. 1
Die Sträflinge sind ihrer neunundzwanzig, angeführt von einem gewissen Ben Joyce, einem Verbrecher der gefährlichsten Art, der seit einigen Monaten, man weiß nicht auf welchem Schiffe, nach Australien gekommen ist, und den der Arm der Justiz noch nicht hat erreichen können.
Die Bewohner der Städte, die Colonisten und die Squatters in den Stationen werden hiermit veranlaßt, auf ihrer Hut zu sein und dem Surveyor-General Alles mitzutheilen, was seine weiteren Nachforschungen unterstützen könnte.
J. P. Mitchell, S.-G.«
Als Lord Glenarvan die Vorlesung dieses Artikels beendet hatte, wandte sich Mac Nabbs an den Geographen mit den Worten:
»Sie sehen, Paganel, daß man hier in Australien Sträflingen begegnen kann.
– Entsprungenen, das liegt auf der Hand! antwortete Paganel, aber regelrecht zugelassenen Deportirten, nein. Die Leute, um die es sich dort handelt, sind unberechtigter Weise hier.
– Ja, aber sie sind doch hier, warf Glenarvan ein, doch denke ich nicht, daß ihre Anwesenheit unser Vorhaben ändern, oder gar unsere Reise verhindern soll. Was meinen Sie, John?«
John Mangles antwortete nicht sogleich; er
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