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Die Kinder des Kapitän Grant

Die Kinder des Kapitän Grant

Titel: Die Kinder des Kapitän Grant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Rufe, welche man schriftlich etwa mit »
cooh-eeh! cooh-eeh!
« wiedergeben könnte, an ihr Ohr schlugen.
    Ayrton trieb seine Ochsen an, und hundert Schritte weiterhin trafen die Reisenden unerwartet auf ein Lager von Eingeborenen.
    Welch ein trauriger Anblick! Ein Dutzend Zelte erhoben sich auf dem nackten Erdboden. Diese »Gunyos«, welche aus Rindenstücken, die man gleich Dachziegeln übereinander geschichtet hatte, gefertigt waren, gewährten ihren elenden Bewohnern nur nach einer Seite hin einigen Schutz. Diese durch Elend heruntergekommenen Wesen waren wirklich abstoßend. Es waren etwa dreißig, Männer, Frauen und Kinder, mit zerfetzten Kängurusellen bekleidet.
    Bei der Annäherung des Wagens suchten sie zunächst zu entfliehen, einige von Ayrton in unverständlichem Kauderwälsch ausgesprochene Worte schienen sie aber wieder zu beruhigen, so daß sie halb vertrauensvoll, halb furchtsam, wie Thiere, denen man einen leckeren Bissen hinhält, zurückkehrten.
    Diese Eingeborenen von fünf Fuß und vier bis sieben Zoll Körpergröße, hatten nußbraune Hautfarbe, wolliges Haupthaar, lange Arme, hervorstehenden Unterleib, und ihr Körper war mit Narben vom Tätowiren oder von Schnitten, die bei Leichenfeierlichkeiten beigebracht wurden, bedeckt. Es giebt nichts Abschreckenderes, als ihre wahrhaft ungeschlachten Gesichter, mit dem ungeheuren Munde, der platten Stumpf-Nase, dem vorstehenden Unterkiefer mit weißen, aber schiefstehenden Zähnen. Niemals können menschliche Wesen so ausgeprägt den Typus des Thierischen aufweisen.
    »Robert hat sich nicht geirrt, sagte der Major, das sind Affen, – meinetwegen Vollblut –, aber es bleiben doch Affen!
    – Aber, Mac Nabbs, erwiderte sanft Lady Helena, möchten Sie Denen Recht geben, die Jene wie wilde Thiere jagen? Diese armen Wesen sind doch Menschen!
    – Menschen! rief Mac Nabbs, höchstens Zwischengeschöpfe zwischen Mensch und Orang-Utang! Wenn ich ihren Gesichtswinkel mäße, würde ich ihn ebenso klein finden, wie beim Affen!«
    In dieser Hinsicht hatte Mac Nabbs wohl Recht; der Gesichtswinkel des australischen Eingeborenen ist sehr spitz und nähert sich auffallend dem des Orang-Utang, er beträgt nämlich sechzig bis zweiundsechzig Grade. Auch ist der Vorschlag de Rienzi’s nicht unbegründet zu nennen, diese Unglücklichen als besondere Race der »Pithecomorphen«, das sind affenähnliche Menschen, zu betrachten.
    Aber mehr als Mac Nabbs war Lady Helena im Rechte, wenn sie diese Eingeborenen als seelenbegabte Wesen, wenn auch auf der untersten Stufe der Menschheit, auffaßte. Zwischen dem Thiere und dem Australneger bleibt immer noch eine nie zu überbrückende Kluft, welche die Arten scheidet. Pascal hatte gewiß Recht zu sagen, daß der Mensch nie und nirgends gleich dem Thiere ist; freilich setzte er nicht minder weise hinzu: »daß er auch nie zum Engel werde.«
    Nun bewiesen aber gerade Lady Helena und Miß Mary Grant die Unhaltbarkeit jenes Nachsatzes des großen Denkers. Die beiden liebenswürdigen Frauen hatten den Wagen verlassen; liebevoll streckten sie den elenden Geschöpfen die Hand entgegen und boten ihnen Nahrungsmittel, welche die Wilden mit natürlicher Gier verschlangen. Die Eingeborenen mußten Lady Helena desto leichter für ein überirdisches Wesen halten, als nach ihrer religiösen Anschauung die Weißen früher Schwarze waren, welche nach ihrem Tode gebleicht sind.
     

    Ein Kampfspiel aus Dankbarkeit. (S. 421.)
     
    Vorzüglich aber riefen die Frauen das Mitleid der reisenden Damen wach. Für die Verhältnisse einer Australierin existirt kein Vergleich; von einer stiefmütterlichen Natur auch nicht mit dem mindesten Liebreiz ausgestattet, ist sie eine von roher Gewalt entführte Sklavin, die kein anderes Hochzeitsgeschenk kennen lernt, als Schläge mit dem »Waddie«, das heißt, einem derben Stocke in der Hand ihres Herrn. Von dieser Zeit an muß sie sich, früh und schnell gealtert, den mühseligsten Arbeiten auf dem Wanderleben unterziehen, wobei sie auch mit ihren Kindern die in einem Binsenbündel eingepackten Jagd-und Fischergeräthschaften trägt, neben dem Vorrathe von »
Phormium tenax
«, aus dem sie die nöthigen Fäden herstellt. Sie muß die Nahrungsmittel für die Familie besorgen, sie verfolgt Dachse, Opossums und Schlangen bis in die Wipfel der Bäume; sie zerkleinert das Feuerholz, und schafft die Baumrinde zum Zelte herbei; ein geplagtes Lastthier, kennt sie keine Ruhe und verzehrt erst nach ihrem Herrn die

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