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Die Kinder des Kapitän Grant

Die Kinder des Kapitän Grant

Titel: Die Kinder des Kapitän Grant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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wurde schon düster, und die Sonne warf ihre letzten Strahlen auf die Pics der Hochflächen. Paganel stellte mit dem Barometer seine Beobachtung an und fand, daß die Höhe 11700 Fuß betrug. Diese Region der Cordilleren war also 910 Meter niedriger, als der Montblanc. Hätten diese Gebirge dieselben Schwierigkeiten dargeboten, wie der schweizer Riese, oder hätten seine Stürme getobt, so hätte keiner der Reisenden die Kette zu übersteigen vermocht.
    Als Glenarvan und Paganel auf einem Porphyrhügel ankamen, blickten sie nach allen Seiten des Horizonts umher. Sie befanden sich auf einem Schneegipfel der Cordilleren, der einen Raum von vierzig Quadratmeilen beherrschte. Der östliche Abfall des Gebirges senkte sich in allmäliger Abstufung von Abhängen, auf welchen die Péons mehrere hundert Klafter weit hinabzurutschen pflegen. In der Entfernung sah man lange Streifen von Steingerölle und zerstreute Felsblöcke, die von den Gletschern fortgedrängt ungeheure Schutthaufen bildeten. Das Thal des Colorado lag in Folge der herabsinkenden Sonne bereits in zunehmendem Schatten, die daraus hervortretenden noch beleuchteten Punkte und Spitzen verloschen nach und nach, und allmälig sank der ganze östliche Abhang der Anden in Dunkel. Im Westen lag der allmälig ansteigende Abhang in Beleuchtung, eine Bergkette, welche der steilabfallenden östlichen Gebirgswand eine Widerlage, gewissermaßen eine Strebemauer bildete. Es war zum Blenden, wenn man die Gletscher und Felsen in dieser Bestrahlung sah. Nach Norden zu verlor sich eine Reihe von Gipfeln unmerklich zu einer wellenförmigen Linie. Im Süden dagegen ergab sich ein prachtvoller Anblick, der mit Anbruch der Nacht erhabene Verhältnisse annahm. In der That, warf man den Blick in das wilde Torbidothal, so traf er auf den Antuco, dessen klaffender Krater zwei Meilen von da sich öffnete. Der Vulkan brüllte wie ein Ungeheuer und spie glühenden Rauch aus, vermischt mit Strömen rußiger Flammen; Hagel von glühenden Steinen, Wolken von röthlichem Dampf, Raketen von Lava bildeten funkelnde Garben. Während die Sonne im Dunkel des Horizonts verschwand, erhob sich ein ungeheurer, stets wachsender Glanz, der den weiten Umkreis mit grellem Widerschein erfüllte.
    Paganel und Glenarvan hätten lange bei diesem prachtvollen Anblick verweilt; aber Wilson erinnerte sie an die Lage, worin man sich befand. Zwar mangelte es an Holz; aber zum Glück waren die Felsen mit trockenen Flechten bekleidet, und die Wurzeln einer Pflanze, »Llaretta« genannt, boten auch einen genügenden Brennstoff. Man brachte einen gehörigen Vorrath des schätzbaren Materials in die Hütte und zündete auf dem Heerd ein Feuer an, das aber schwierig zu unterhalten war, weil, wie wenigstens der Major sagte, die dünne Luft zu wenig Sauerstoff darbot.
    »Dagegen, fuhr er fort, braucht auch das Wasser keine hundert Grad zum Sieden, und der Kaffee ist eher fertig.«
    Richtig, das Thermometer weist im siedenden Wasser 1 nur siebenundachtzig Grad nach. Jeder schlürfte mit Behagen seinen heißen Kaffee. Aber das Dürrfleisch wollte Paganel nicht zusagen und er wünschte ein Stück Lammbraten. Der Major warf ihm zwar Ungenügsamkeit vor, verstand sich aber doch dazu, trotz der Kälte, auf den Anstand zu gehen.
    Seine Gefährten hatten noch nicht Zeit, ihm für seine Gefälligkeit zu danken, als man in der Ferne ein dumpfes Getöse vernahm: es war nicht ein Geschrei einzelner Thiere, sondern es schienen wirre Töne einer reißend schnell herannahenden Heerde. Wollte die Vorsehung zu dem Obdach noch die Mahlzeit gewähren? meinte der Geograph. Aber Glenarvan bemerkte, daß die Vierfüßler der Cordilleren doch nie zu einer so hohen Zone hinan kommen.
    »Woher kommt denn aber das Getöse? sagte Tom Austin. Hören Sie, wie es näher kommt!
    – Eine Lawine? sagte Mulrady.
    – Unmöglich! Es sind wirklich belebte Töne, erwiderte Paganel.
    – Wir werden sehen, sagte Glenarvan.
    – Und mit dem Carabiner in der Hand«, entgegnete der Major.
    Alle eilten zur Hütte hinaus. Es war Nacht geworden, düster, aber sternhell. Des Mondes letztes Viertel war noch nicht aufgegangen. Im Norden und Osten verschwanden die Gipfel im Dunkel, und die Blicke konnten nur den phantastischen Umriß einiger hervorragender Felsen gewahren. Das Geheul – ein Geheul aufgescheuchter Thiere, wiederholte sich. Es kam von der dunkeln Seite der Cordilleren her. Was gab’s da? Plötzlich kam eine wüthende Lawine heran, eine Lawine lebender,

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