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Die Kinder des Kapitän Grant

Die Kinder des Kapitän Grant

Titel: Die Kinder des Kapitän Grant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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vor Schrecken toller Geschöpfe. Die ganze Hochebene schien in Bewegung. Von diesen Thieren kamen Hunderte, Tausende vielleicht, und machten, trotz der dünnen Luft, ein betäubendes Getöse. War’s Rothwild aus den Pampas oder nur eine Heerde Lamas und Vigognas? Glenarvan, Mac Nabbs, Robert, Austin, die beiden Matrosen hatten nur noch Zeit sich auf den Boden zu werfen, während dieser lebendige Strudel einige Fuß über ihnen her ging. Paganel, der als Nachtsichtiger, um besser zu schauen, stehen blieb, wurde im Nu zu Boden geworfen.
    In dem Augenblick hörte man einen Schuß. Der Major hatte auf’s Geradewohl gefeuert. Es kam ihm vor, als falle ein Thier einige Schritte vor ihm nieder, während die ganze Rotte, mit unwiderstehlichem Ungestüm und verdoppeltem Geschrei fortstürmte und über die vom Widerschein des Vulkans erhellten Abhänge hin verschwand.
    »Ah! da hab ich sie, sagte eine Stimme – es war Paganel’s.
    – Und was haben Sie? fragte Glenarvan.
    – Meine Brille, wahrhaftig! Die Brille zu verlieren, ist wohl das geringste Ungemach bei solch’ einem Getümmel!
    – Sie sind doch nicht verwundet? …
    – Nein, ein wenig getreten. Aber von wem?
    – Von dem da«, erwiderte der Major, indem er das erlegte Thier herbeischleppte.
     

    Ein Bergsturz mit Eilzuggeschwindigkeit. (S. 108).
     
    Man eilte um die Wette wieder in die Hütte, um bei dem Scheine des Heerdfeuers den Schuß Mac Nabbs zu untersuchen.
    Es war ein hübsches Thier, ähnlich einem kleinen Kameel ohne Buckel, mit seinem Kopf, flachem Körper, langen und schlanken Beinen, seinen Haaren von einer Farbe, wie Kaffee mit Milch; der Leib war unten weiß gefleckt. Als Paganel es erblickte, rief er aus:
    »Ein Guanaco!
    – Was ist der Guanaco für ein Thier? fragte Glenarvan.
    – Ein eßbares Thier, erwiderte Paganel.
    – Ist’s gut?
    – Schmackhaft. Ein Gericht, wie im Olymp. Ich wußte doch, daß wir noch einen Braten zum Abendtisch bekommen würden! Und was für ein Braten! Aber wer wird das Thier ausweiden?
    – Ich, sagte Wilson.
    – Gut, ich übernehme es zu braten, erwiderte Paganel.
    – So sind Sie auch ein Koch, Herr Paganel? fragte Robert.
    – Wahrhaftig, lieber Junge, und zwar als Franzose! In jedem Franzosen steckt ein Koch.«
    Fünf Minuten nachher legte Paganel große Schnitten Wildbraten auf die Kohlen der Llarettawurzel. Zehn Minuten später legte er seinen Gefährten dieses sehr appetitliche Fleisch unter dem Namen »Mürbbraten von Guanaco« vor. Niemand machte Umstände, man biß tapfer ein.
    »Das ist ja abscheulich! sagte der Eine.
    – Nicht zum Essen!« erwiderte der Andere.
    Der arme Gelehrte mußte zugeben, daß dieser Rostbraten selbst für Ausgehungerte ungenießbar war. Man fing an, einige Scherze über sein olympisches Gericht zu machen, die er übrigens gut verstand; er forschte nach dem Grunde, weshalb dieses Guanacofleisch, das sonst gut und sehr geschätzt ist, unter seinen Händen so abscheulich geworden war. Ein Gedanke fuhr ihm durch den Kopf:
    »Jetzt weiß ich’s, rief er aus; wahrhaftig! Ich hab’s gefunden!
    – Ist das Fleisch vielleicht schon zu weit voran? fragte ruhig Mac Nabbs.
    – Nein, aber zu sehr in Aufregung! Wie konnt’ ich das nur unbeachtet lassen?
    – Was meinen Sie damit, Herr Paganel, fragte Tom Austin.
    – Ich will sagen, das Guanaco hätte müssen in ruhigem Zustande getödtet werden; ein zu sehr abgehetztes Wild ist nicht genießbar. Daraus kann ich abnehmen, daß die Heerde schon weit her gerannt ist.
    – Ist das gewiß, sagte Glenarvan.
    – Ganz gewiß.
    – Aber welches Naturereigniß war im Stande, diese Thiere so in Schrecken zu setzen zu einer Zeit, da sie sonst ruhig auf ihrem Lager schlafen.
    – Hierauf, lieber Glenarvan, sagte Paganel, kann ich nicht antworten. Wenn Sie mir folgen, so gehen wir jetzt zur Ruhe, ohne weiter zu forschen. Ich meinestheils bin todtmüde. Sind Sie dabei, Major?
    – Ja, wir wollen schlafen.«
    Darauf hüllte sich jeder in seinen Poncho, man schürte das Feuer und gab ihm Brennstoff für die ganze Nacht, und bald hörte man furchtbar schnarchen in allen Tonarten und Weisen; der Baß des gelehrten Geographen stützte die Harmonie der Stimmen.
    Glenarvan allein schlief nicht. Geheime Unruhe hielt ihn in schlaflosem Zustande. Unwillkürlich quälte ihn der Gedanke an die gemeinsam flüchtende Heerde und ihren unerklärlichen Schrecken. Es konnte dies nicht von einer Verfolgung durch Raubthiere herrühren. In dieser Höhe giebt’s

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