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Die Kinder des Kapitän Grant

Die Kinder des Kapitän Grant

Titel: Die Kinder des Kapitän Grant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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befanden sich Glenarvan und seine Genossen wieder auf dem Wege von Antuco.
    Sie befanden sich damals in der eigentlich sogenannten Andengegend, nicht weit von dem oberen Kamm der Cordilleren; aber von gebahntem Wege, einem bestimmten Pfade keine Spur. Durch das letzte Erdbeben war diese ganze Gegend überschüttet worden, und man mußte sich allmälig zu den Gipfeln der Kette emporarbeiten. Paganel war etwas bestürzt, daß er die Straße nicht frei fand, und er machte sich auf arge Mühseligkeiten gefaßt, um den Gipfel der Anden zu erreichen, denn ihre mittlere Höhe beträgt 11,000 bis 12,600 Fuß. Zum Glück war das Wetter ruhig, der Himmel rein, die Jahreszeit günstig; denn zur Winterzeit, vom Mai bis zum October, wäre diese Besteigung gar nicht ausführbar gewesen; die Reisenden erliegen rasch der argen Kälte, und wen diese verschont, entgeht wenigstens nicht den heftigen Stürmen, welche in diesen Gegenden einheimisch sind und alljährlich die Schluchten der Cordilleren mit Leichen füllen.
    Die ganze Nacht hindurch stieg man noch aufwärts; man erklimmte mit den Händen fast unzugängliche Hochplatten; sprang über weite und tiefe Klüfte; in Ermangelung von Stricken reichte man sich die Hände, und die Schultern dienten als Staffeln. Damals ergab sich für Mulrady’s Kraft und Wilson’s Gewandtheit tausendfache Gelegenheit sich zu zeigen; manchmal hätte ohne ihren Muth und ihre Hingebung die kleine Truppe keinen Schritt weiter gekonnt. Glenarvan verlor den jungen Robert, der aus Jugend und Lebhaftigkeit unvorsichtig war, keinen Augenblick aus den Augen. Paganel drang mit ganz französischem Ungestüm voran. Der Major rührte sich nicht mehr, als nöthig war, und kam mit kaum merklicher Bewegung aufwärts.
    Um fünf Uhr früh hatten die Reisenden eine Höhe erreicht, die nach Angabe des Barometers 7500 Fuß betrug. Sie befanden sich damals auf der zweiten Stufe des Hochlandes, der äußersten Grenze des Baumwuchses. Da sprangen verschiedene Thiere, die einem Jäger Freude gemacht hätten; sie flohen von weitem, als die Männer sich näherten. Man sah hier das treffliche Lama, das auf den Berghöhen Schaf, Rind und Pferd ersetzt, und noch da fortkommt, wo Maulthiere nicht mehr bestehen; das kleine, furchtsame Nagethier Chinchille mit reichlichem Pelz, das dem Hafen und Kaninchen gleicht und auf seinen Hinterfüßen dem Känguru ähnlich ist. Es ist ein reizender Anblick, das gewandte Thierchen gleich einem Eichhörnchen über die Wipfel der Bäume laufen zu sehen.
    Doch waren diese Thiere nicht die höchsten Bergbewohner. Nahe an der Grenze des ewigen Schnees, 9000 Fuß hoch, lebten, und zwar truppweise, Wiederkäuer von unvergleichlicher Schönheit, das Alpaka mit langem seidenartigen Fell, dann jene eingehörnte, zierliche und stolze Ziege mit seiner Wolle, von den Naturforschern Vigogna genannt. Aber es war kein Gedanke, ihnen nahe zu kommen, kaum glückte es, sie zu Gesicht zu bekommen, denn sie flohen so rasch wie im Fluge.
    Jetzt änderte sich der Anblick der Gegend völlig. Auf allen Seiten sah man aufgeschichtete Eisblöcke von bläulicher Farbe die ersten Strahlen des Tageslichtes widerstrahlen. Das Hinansteigen wurde nun recht gefährlich. Man wagte keinen Schritt weiter, ohne achtsam zu forschen, ob nicht eine Spalte im Boden sei. Wilson stellte sich an die Spitze der Reihe und untersuchte mit dem Fuß den Gletscherboden. Seine Gefährten gingen ganz genau auf der Spur seiner Tritte und hüteten sich selbst laut zu sprechen, um nicht durch die Erschütterung der bewegten Luft ein Herabfallen der Schneemassen zu veranlassen, welche sieben-bis achthundert Fuß über ihren Köpfen hingen.
     

    Sie waren in die Region der Gesträuche gekommen, welche bei zweihundertundfünfzig Toisen Höhe den Gräsern und Cactus Platz machten. Mit 11,000 Fuß verschwanden auch diese Pflanzen vom öden Boden, und es zeigte sich keine Spur von Vegetation mehr.
    Die Reisenden hatten nur ein einziges Mal, um acht Uhr, Halt gemacht, um durch ein einfaches Mahl ihre Kräfte wieder zu stärken, und setzten dann mit übermenschlichem Muth die Ersteigung fort, den stets wachsenden Gefahren Trotz bietend; an manchen Stellen bezeichneten hölzerne Kreuze vorgekommene Unglücksfälle. Um zwei Uhr kam man an eine ungeheure Hochebene ohne Spur von Vegetation, die sich zwischen dürren Felsen hinzog. Die Luft war trocken, der Himmel grell blau; in dieser Höhe giebt’s keinen Regen, die Dünste lösen sich zu Schnee oder

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