Die Kinder des Ketzers
Castelblanc konnte gar nicht so schnell fächern, wie ihr die Röte des Entsetzens ins Gesicht stieg, während Onkel Philomenus zum Ausgleich kreidebleich wurde. Zwischen den Brüdern Pontevès, dem Bischof und dem königlichen Intendanten wurden indignierte Blicke gewechselt. Allein die Mancoun bewahrte ihr maskenhaftes Lächeln, und der ehemalige Konsul Servan brach plötzlich in einen Hustenanfall aus, der verdächtig nach unterdrücktem Gelächter klang.
Auf dem harten Gesicht der Königin erschien ein kleines, fast mädchenhaftes Lächeln bei Oma Felicitas’ Worten. «Oh», sagte sie und errötete wie ein Kind, das man für seine erste Stickarbeit gelobt hat. Offenbar war sie derart freundliche Worte nicht sonderlich gewohnt, zumindest nicht jenseits der Grenzen Navarras.
«Nun denn, die Gastfreundschaft des Hauses Mancoun erwartet Euch», sagte die Mancoun mit einer einladenden Handbewegung in Richtung der reichhaltig gedeckten Tische, die den Rasen zu beiden Seiten flankierten, und ihrem ungeduldigen Gesicht war anzusehen, dass es ihr eilig wurde, diese Vorstellungsrunde zu beenden. Schließlich warteten bereits die nächsten Gäste.
Das buffet war auch, so zumindest die Meinung von Fabiou und Frederi Jùli, eine sinnvolle Alternative zu Hofknicksen und artigen Begrüßungsformeln. Wenn den später gekommenen Gästen auch das große Festmahl entgangen war, hungern mussten sie heute definitiv nicht. Die Tische bogen sich regelrecht unter gebratenen Wachteln, Fleischspießchen, Soufflés, gefüllten Truthähnen, Spanferkeln, süßen Crèmes, Zuckergusstorten und kandierten Früchten. Die Warteschlange war trotz der Anzahl der Tische beträchtlich, Ais’ Noblesse drängte sich vor den Speisen, als hätte man eine Woche lang nur von Weihwasser gelebt, und Fabiou und Frederi Jùli hielten es für ratsam, sich zeitig in die Reihe der Hungrigen einzureihen, bevor diese die Tische kahlgefressen hatten wie einst die Heuschrecken die Felder von Ägypten. Die Mädchen folgten ihrem Beispiel – die kandierten Früchte waren einfach zu verlo240
ckend – gaben sich aber redlich Mühe, ein gelangweiltes Gesicht zu machen, so als habe man sie in die Warteschlange gezwungen. Eine Dame darf schließlich nicht gefräßig wirken. Weiter vorne kam es zu einem kleinen éclat , t als ein Bengel sich durch die Reihen der Wartenden drängte und ungeachtet des Murrens, er solle sich gefälligst hinten anstellen, nach dem Rand einer hohen Schüssel mit Crèmespeise griff. Es kam, wie es kommen musste, das Gedränge brachte den Jungen zu Fall, die Schüssel, an die er sich klammerte, ebenfalls, deren Inhalt sich zum Teil über die Austern und Jakobsmuscheln, zum Teil über das Kleid der Dame Estrave ergoss. Lautes Geschrei war die Folge; Senher Estrave packte den Übeltäter beim Kragen und brüllte: «Wem gehört diese kleine Ratte hier?» Frederi Jùli verrenkte vergeblich den Hals, um besser sehen zu können: «Wer ist es, siehst du was?»
Fabiou stellte sich auf die Zehenspitzen. «Rat’ mal», seufzte er.
«Schweinebacke Theodosius?»
« Exactément !»
Jetzt kam schon die Dame Auban angesprungen. «Lasst ja meinen Jungen los, Ihr tut ihm ja weh!» protestierte sie.
«Ach, zu Euch gehört dieses kleine Miststück?», brüllte Estrave und schubste den plärrenden Theodosius seiner Mutter in die Arme, die ihn sofort in dieselben schloss und mit Küssen bedeckte.
«Schnuckelchen, geht es dir gut? Ach, mein armer Kleiner!»
«Euer armer Kleiner hat das Kleid meiner Frau ruiniert! Ich hoffe sehr, dass Euer Gatte dafür geradestehen wird!», rief der Estrave. Fabiou, Frederi Jùli und Catarino bekamen Atemnot vor Lachen.
Die Familie Estrave zog ab, den Senher d’Auban suchen, und die Reihe war endlich an Fabiou und seinen Geschwistern. Ein Diener fragte sie nach ihren Wünschen, füllte ihre Teller mit einer Auswahl erlesener Speisen – «Das müsst Ihr unbedingt probieren, zarte Rinderlendchen in einem feinen Rotweinsößchen, und das hier ist eine besondere Delikatesse, eine Neuigkeit aus der neuen Welt, Cacaou nennt man sie…»
«Ist das süß oder salzig?», fragte Catarino mit einem misstrauischen Blick auf die dunkle Flüssigkeit, die aussah wie eingedickte Bratensoße. «Süß, mit einem leichten Bittergeschmack – ein Ge241
dicht!» schwärmte der Diener. Catarino ließ sich breitschlagen, ein kleines Schälchen der dunklen Flüssigkeit zu kosten, und Frederi Jùli, der bei dem Wort «süß» stets Augen wie
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