Die Kinder des Ketzers
mehr», forderte er Fabiou auf. Trévigny war der Letzte, den Fabiou sich als Vertrauten wünschte, andererseits war der Wunsch übermächtig, über all das zu reden, was er in Erfahrung gebracht hatte. Also erzählte Fabiou, berichtete über das seltsame Schreiben, das er bei Trostett gefunden hatte, über den Besuch bei Petri und über die Maske, die Cristino am Fenster gesehen haben wollte, und den Schriftzug, den er daneben entdeckt hatte. Es war eine gute Übung für sein Französisch. «Und Ihr seid sicher, dass dieses Wort Santonou bedeutete?», fragte der Comte nachdenklich, als er geendet hatte.
«Nun… die Schrift war ziemlich unleserlich, aber… ja, ich bin mir sicher. An dieser Wand im zweiten Stock stand Santonou.» Er schielte nach links, wo Monsieur Corbeille soeben der Königin von Navarra einen Kuss auf den Handrücken drückte.
Trévigny schüttelte heftig den Kopf. «Ich verstehe das alles nicht. Ich meine… was wird hier gespielt? Gut, gehen wir davon aus, dass ein geheimnisvoller Unbekannter aufgrund einer seltsamen Intrige sowohl einen reisenden Kaufmann als auch einen betenden Mönch ermordet hat. Und gehen wir davon aus, dass zwischen dem Mörder und der Maske am Fenster eine Verbindung besteht, angedeutet durch diesen Schriftzug Santonou – dann muss es doch an sich auch eine Beziehung geben zwischen den beiden Morden und dem Fest der Ardoches. Aber was für eine? Himmel, die Ardoches sind, soweit ich das mitbekommen habe, eine der unbedeutendsten Familien von ganz Ais!»
Fabiou stellte fest, dass er sich diese Frage noch gar nicht gestellt hatte. Allerdings – was hatte der geheimnisvolle Maskenmann 244
überhaupt an diesem Fenster zu suchen gehabt? «Nun… vielleicht hat er einen Diebeszug ausgekundschaftet…», überlegte er.
«Darf ich daran erinnern, dass Ihr es seid, der Raub als Grund für den Mord ausschließt?», wandte Trévigny spöttisch ein.
«Nun… eine andere Erklärung wäre», Fabiou biss in seinen Hähnchenschlägel, um an etwas kauen zu können, «er hat sein nächstes Opfer beobachtet.»
«Sein nächstes Opfer – der Massenmörder von Ais oder wie?
Klingt nach einem Schauerstück.» Der Comte grinste spöttisch.
«Habt Ihr eine bessere Idee?», fragte Fabiou gereizt.
«Ich hätte eigentlich ganz gern mal etwas mehr über diese Santonou-Brüder gewusst», meinte Trévigny nachdenklich.
«Antonius-Jünger», verbesserte Fabiou.
«Wie auch immer. Hm.» Trévigny kniff die Augen zusammen.
«In der Universitätsbibliothek gibt es wohl ein paar Unterlagen dazu», meinte Fabiou.
«Oh, vielleicht geht es auch einfacher…» Mit einem eigentümlichen Grinsen ließ Trévigny seinen Blick über die Menge der Festgäste schweifen.
«Oh, seht nur, wer da kommt!», rief Alessias glockenhelle Stimme.
« Merde », krächzte Fabiou und verschwand zu Trévignys Erstaunen mit einem Satz hinter die nächste Pinie. Oh ja, es war in der Tat hoher Besuch, der da eintraf. Voraus schritt, den Degen gegürtet, die breiten Schultern gereckt, das schlohweiße Haar streng zurückgekämmt, Jean Maynier, Baroun von Oppède. Und im Schlepptau hatte er niemand anderen als die Brüder Mergoult. «Ah, Baroun, wie schön, dass Ihr meiner Einladung gefolgt seid!», säuselte die Mancoun verzückt. «Zu schade, dass Eure Verpflichtungen es Euch nicht erlaubten, uns schon beim Mittagsmahl zu beehren… Willkommen, herzlich willkommen!
Die Herren kennt Ihr ja.» Maynier nickte dem Konsul, den Gebrüdern Pontevès und dem königlichen Intendanten grüßend zu, während er vor dem Bischof niederkniete und ihm in einer ostentativen Geste den Ring küsste. Die Mergoults kopierten jede seiner Bewegungen. «Und – darf ich vorstellen? Ihre Majestät Jeanne d’Albret, Königin von Navarra», sagte die Mancoun fröhlich. 245
Maynier trat zur Seite, und Ais’ Erster Parlamentspräsident und Béarns Monarchin standen sich Aug in Aug gegenüber.
«Majestät?», sagte er.
«Baroun?», sagte sie.
In beider Augen lag in etwa der Blick, mit dem der heilige Georgius einst wohl den Drachen betrachtet hat.
«Wie überaus erfreulich, Euch hier zu sehen.» Die Albret hatte ihre dünnen Lippen zu einem gekünstelten Lächeln verzogen. In ihrer Stimme lag genug Ironie, um die Sahne gerinnen zu lassen. «Ich hörte, man hätte Euch eingekerkert und den Prozess gemacht?»
«Erwartungsgemäß war das Gericht leicht davon zu überzeugen, dass ich nur zum Wohle des Staates gehandelt habe – und zum
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