Die Kinder des Ketzers
während Catarino gewaltig mit dem Gleichgewicht zu kämpfen hatte, was dem Intendanten ein etwas abfälliges Lächeln
– «Diese Provinzler!» – in den Mundwinkel zwang und den Grafen Carcès wiederum zu einem bösartigen Blick auf den Intendanten verleitete. Die Herren – einschließlich Frederi Jùli – probten eine artige Verneigung, und Tante Eusebia faselte etwas von der übergroßen Ehre, die ihr mit dieser Einladung zuteil wurde. Frederi Jùli betrachtete den Grafen Carcès mit Glubschaugen, nicht dass er die geringste Ahnung hatte, wo Palamos lag oder was es mit dem dortigen Sieg auf sich hatte, aber die Vorstellung, dass ein großer Heerführer unmittelbar vor ihm stand, beeindruckte ihn sichtlich. Zumal der Graf alle Erwartungen erfüllte, die man an einen strahlenden Kriegshelden stellte: groß, kräftig, elegant in seinen modischen Kleidern, verwegen mit dem Degen an seiner Seite, und in den Augen genügend erhabene Kühnheit, um einem Portrait von Richard Coeur de Lion Konkurrenz zu machen. Sein Bruder war zwar noch modischer und definitiv teurer gekleidet, doch wenn er auch sichtlich bemüht war, die Haltung seines Bruders zu kopieren, so fehlte ihm doch eindeutig dessen Ausstrahlung, und der Degen an seiner Seite hatte die gleiche attrappenhafte Wirkung wie bei den meisten Herren. Frederi Jùli stand und starrte den Grafen Carcès an und bekam den Mund nicht mehr zu. Wer von Carcès deutlich weniger beeindruckt erschien, war Oma Felicitas. Um genau zu sein, übersah sie ihn ebenso wie seinen Bruder. «Salve, Pietro», grüßte sie mit einem Winken den Ex-Konsul, den sie aus frühesten Jugendtagen kannte, hauchte dem Bischof einen Kuss auf den Ring und würdigte den königlichen Intendanten im Übrigen keines Blickes.
«Und – Ihre Majestät Jeanne d’Albret, die Königin von Navarra mit ihrem Sohn Henri, dem Thronfolger.» Die Mancoun sagte
«Jeanne» und «Henri», wie die Franzosen, schon um sich vor dem 238
königlichen Intendanten keine Blöße zu geben, wenn die Béarnerin im allgemeinen Sprachgebrauch auch «Damo Jano» war. Sie war eine Frau um die dreißig, groß und hager, mit streng zurückgebundenen braunen Locken, das Gesicht mit der markanten Nase des französischen Königshauses eher hart als schön. Das Kleid, das sie trug, war sicher von einem guten Schneider, doch verglichen mit der prunkvollen Ausstattung der Mancoun wirkte es geradezu unscheinbar: unverzierter dunkler Stoff, ein einfacher Schnitt mit hochgeschlossenem Kragen, und als einzigen – wirklich einzigen! – Schmuck ein kleines goldenes Kreuz um den Hals. Keine Ringe, keine Edelsteine, das Haar von einfachen hölzernen Spangen zusammengehalten. Ob dieser Aufzug eine Demonstration der bäuerlichen Einfachheit Navarras oder der calvinistischen Verachtung allen Prunks sein sollte, blieb dem Urteil des Betrachters überlassen, beides hätte Jeanne d’Albret ähnlich gesehen, und beides war unter den gegebenen Umständen reichlich provokant. Der Knabe neben ihr, ein pummeliger kleiner Junge mit hellbraunem zerzaustem Haar und einem fröhlichen Grinsen auf seinem Pausbackengesicht, trug ebenfalls ein unerhört einfaches Wams in schlichtem Braun, und die einzigen Farbflecken an seiner Kleidung waren, wie der Dame Castelblanc missbilligend auffiel, die grünen Grasschmierer auf seinen Knien.
Die Albret betrachtete die Neuankömmlinge aus kühlen dunklen Augen. «Senher! Damo!», sagte sie mit einem grüßenden Nicken. Die Herren verneigten sich erneut, die Damen machten wieder einen artigen Hofknicks, wobei es Tante Eusebia gelang, gleichzeitig zu lächeln und skeptisch die Stirn zu runzeln. Immerhin war dieses Weib eine Beinaheketzerin.
«Majestät!» Aus diesem Ruf klang überschwängliche Begeisterung, und die Blicke der erstaunten Anwesenden trafen eine strahlende Oma Felicitas, die, ihre Gebrechen wieder einmal komplett vergessend, vor der Béarnerin in die Knie sank. «Majestät, welch Ehre, Euch gegenüberzustehen! Ihr müsst wissen, dass ich eine glühende Verehrerin Eurer Mutter, Marguérite d’Angoulême, war, Gott hab sie selig. Ein Genie war sie, Eure Mutter, eine Künstlerin, und zudem eine weise und gerechte Königin, ein Geist der Toleranz 239
in einer Zeit der Verbohrtheit und des Fanatismus! Ich schließe sie jeden Abend in meine Gebete mit ein!»
Dieser Ausbruch in unmittelbarer Gegenwart der katholischen Lokalprominenz war so ähnlich, als hätte sie «Lang lebe Luther»
gerufen, und die Dame
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