Die Kinder des Ketzers
Wagenräder bekam, verlangte gleich nach einer größeren Schüssel, in die er sofort sehr unnobel seinen Finger tauchte und abschleckte. «Das schmeckt ja merveilleux !», schrie er.
«Man sagt nicht mehr merveilleux », belehrte ihn Cristino herablassend, «man sagt intrigant !»
« A propos », Fabiou zeigte grinsend über seine Schulter, «schaut mal, wer da kommt.»
«Oh Gott», stöhnte Catarino verzweifelt, «Schnepfe im Anmarsch!»
«Christelle!», klang es ihnen auch schon über den Lärm der sich um das Buffet Drängelnden entgegen. «Comte, seht doch nur, wer da ist: Die beiden reizenden Kleinen vom Lande!» Catarino duckte sich hinter ihre Torte und beobachtete lauernd das crèmefarbene, gebauschte Kleid mit dem üppigen Perlenbesatz, das auf sie zugeschwebt kam. «Weißt du, worum ich euch Männer beneide, Fabiou?», murmelte sie.
«Worum denn?»
«Dass ihr euch im Zweifelsfall duellieren könnt. – Oh, bonjour , r Alessia, wie schön, dich wiederzusehen! Intrigant, en effet. Und was für ein schönes Kleid du anhast – die gleiche Farbe wie die Torte, ist das Absicht?»
Alessia ignorierte die Bemerkung und gab erst Cristino und dann Catarino einen Schmatz auf beide Wangen, bei dem jeweils ein halber Zoll Rouge zurückblieb. Sie trug die Haare zu einem Knoten aufgesteckt, aus dem sich wie zufällig eine Strähne gelöst hatte und aufreizend über ihre bloßen Schultern fiel. « Bonjour, mes petites », säuselte sie. «Christelle, du siehst ja allerliebst aus in deinem blauen Kleid. Es ist nicht mehr ganz neu, oder? Und…
ähm… wie war noch mal dein Name? Margarita?»
«Catarino», verbesserte dieselbe ungnädig.
«Ah ja, Cathérine, ich wusste es doch. Den Comte kennt ihr ja, nicht wahr?» Sie zog einen belämmert grinsenden Trévigny an ihre Seite und drückte sich so an ihn, dass er gar nicht anders konnte, als in ihren Ausschnitt zu starren. «Der Comte und ich 242
sind gute Freunde, müsst ihr wissen. Er hat mich sogar auf sein Schloss eingeladen. Und Paris wird er mir auch zeigen, nicht wahr, Sébastien?»
«Ähm… ja…»
«Giftmord wäre auch noch eine Möglichkeit», murmelte Catarino Fabiou zu.
«Kommt, Kinder», Alessia ließ den Comte los, um Catarino rechts und Cristino links unterzuhaken, was die Speisen auf deren Tellern bedenklich ins Rutschen brachte, «gehen wir zum Eingang und schauen uns die Neuankömmlinge an. Wer weiß, was für berühmte Leute noch alles kommen werden.» Und gnadenlos zerrte sie die Schwestern mit sich, die alles andere als angetan von der Vorstellung waren, etwaigen hübschen jungen Männern mit einem Arm voll Crèmetörtchen und Cacaou entgegenzutreten. «Das macht sie mit Absicht», murmelte Catarino wütend. Frederi Jùli machte, dass er mit seinem Teller in die entgegengesetzte Richtung davonkam, und Fabiou hätte es ihm gerne gleichgetan, doch er hatte auf einmal den Comte de Trévigny neben sich, der, während er seine Schritte in die von Alessia vorgegebene Richtung lenkte, vergnüglich auf ihn einquasselte. «Der junge Baron de Beaufort! Wie schön, Euch wiederzusehen. Und Eure reizenden Schwestern… Ich wünschte, meine Familie könnte mit solchen Schönheiten aufwarten… Und, wie geht es Euch so in Ais? Schöne Stadt, nicht?» Direkt vor ihnen nahm die Dame Mancoun soeben den nächsten Gast in Empfang, einen Herrn mittleren Alters mit dichtem, leicht gelocktem Haar, der die Kleidung eines Kaufmanns trug. «Ah, Monsieur Corbeille, wie schön. Seigneur, darf ich Euch Monsieur Corbeille vorstellen?
Monsieur Corbeille ist Kaufmann, aus Tours, und unserer Stadt seit langem durch Handelsbeziehungen verbunden… Seide, nicht wahr, Monsieur Corbeille?»
«Oh ja, sehr schöne Stadt», entgegnete Fabiou bissig. «Bis auf die Morde.»
«Morde?» Der Comte starrte ihn entgeistert an. «Hat es denn noch mehr gegeben?»
«In der Tat. Ein Augustinermönch ist in der Kapelle des Konvents erstochen worden. Und – interessante Parallele – es wurde nichts gestohlen.»
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«Ihr seid also noch immer überzeugt, dass der arme Reisende nicht das Opfer eines Raubmords geworden ist?», fragte Trévigny belustigt.
«Der arme Reisende», sagte Fabiou kühl, «hieß Trostett, war ein Kaufmann aus Thüringen im Reich und hat einen sehr mysteriösen Brief hinterlassen, in dem er seine Ermordung voraussieht. Was sagt Ihr dazu?»
Er hatte eine herablassende Bemerkung erwartet, aber stattdessen pfiff Trévigny leise durch die Zähne. «Erzählt mir
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