Die Kinder des Ketzers
geben durfte, seit er laufen konnte. «Wegen dem Wahnsinnigen da, der mich umbringen will. Du musst mich beschützen!»
Fabiou seufzte tief. Wenn Mergoult und seine Kumpanen etwas lächerlicher fänden als seine Dichtkunst, dann sicher, wenn er sich als Kindermädchen für einen irrgläubigen Königssohn verdingte. Andererseits hatte er eine gewisse moralische Verpflichtung Henric gegenüber. Immerhin war Theodosius sein Vetter. «Also gut», Fabiou packte seine Notizen zusammen und stand auf, «gehen wir zum Jeu de Paume.»
Seine Befürchtungen erwiesen sich als gegenstandslos. Als sie das Spielfeld erreichten, war von den Brüdern Mergoult und ihren Getreuen nichts zu sehen. Auf dem abgesteckten Rasenstück war das Spiel in vollem Gange. Die Damen hatten sich größtenteils vom Spielfeld zurückgezogen, und die Partie hatte an Ernsthaftigkeit und an Tempo zugelegt. Ais’ junge Edle spielten gegen die Gäste aus Navarra, und die Stimmung war bereits ziemlich explosiv, denn die Béarner Razats schickten sich an zu gewinnen. Oma Felicitas war einige Schritte weiter in angeregte Konversation mit ein paar alten Herren vertieft, die sie mit schmeichelnden Bemerkungen umwarben und als Dank kokettierende Blicke ihrerseits erhielten. Besonders Jaume de Servan, ehemals Konsul von Ais, ein hagerer weißhaariger Greis, schwänzelte um sie herum wie sonst nur Artus de Buous um Alessia. Die Dame Castelblanc, die einige Schritt weiter im Kreise einiger Edelfrauen stand, wurde abwechselnd blass und rot vor Entsetzen über das unschickliche Verhalten ihrer Mutter. Ein Stückchen weiter schritt die Barouno d’Astain mit müden Schritten durch die Bäume. Der Baroun 265
dagegen war zu Fabious Enttäuschung nirgends zu sehen. In diesem Augenblick fiel der Großmutter Fabious Anwesenheit auf; sie verabschiedete sich galant von ihren Verehrern und humpelte zu ihm hinüber. «Hast du deine Schwestern gesehen?», fragte sie. Ihre Stirn war sorgenvoll in Falten gelegt, die noch tiefer wurden, als Fabiou dies verneinte. «Wo sind die Gören nur hin – ich habe sie schon überall gesucht!»
Der kleine Navarra hatte sich ein paar Schritte weit entfernt, er stand an der Feldmarkierung und feuerte die Béarner Spieler an.
«Ich habe nicht gewusst, dass Onkel Pierre Wissenschaftler war», sagte Fabiou unvermittelt. Seine Großmutter lächelte spöttisch.
«Es gibt vieles, was du noch nicht weißt, Fabiou», meinte sie .
«War er wirklich so gut?»
«Er war genial», sagte Oma Felicitas. «Schon als Kind besaß er einen Wissensdurst, der regelrecht unheimlich war. Er wollte alles können und alles wissen. Theologie, Philosophie, Mathematik, Medizin – es gab nichts, was nicht sein Interesse fand. Aber am liebsten beschäftigte er sich mit der Erforschung der Natur und ihrer Gesetze. Keine Uhr, kein Werkzeug und kein Musikinstrument war vor ihm sicher. In der Klosterschule hat er einmal in sämtliche Orgelpfeifen Pergamentstücke geklemmt, um festzustellen, wie das den Klang verändert. Den Abt hat vor Wut schier der Schlag getroffen. Besonders hatten es ihm die Studien von Leonardo da Vinci angetan. Er hat versucht, da Vincis Flugapparate nachzubauen, im Kleinen natürlich, wenn meine Schwester auch immer in Angst lebte, er könnte mit einer dieser Konstruktionen vom Dach springen! Ein paar von den Dingern sind sogar ein Stückchen weit geflogen. Gleich nach der Schule, er war kaum älter als du jetzt, hat er die Aufnahmeprüfung der Universität in Ais geschafft. Mit neunzehn war er Doctor, und bereits mit zweiundzwanzig unterrichtete er als Professor an der Universität. Bei den Studenten war er sehr beliebt. Der Kanzler dagegen hätte ihn am liebsten zum Teufel gejagt. Er fand, dass Pierres Forschungen nicht im Einklang mit den Lehren von Mutter Kirche waren. Aber Pierre war nun mal ein brillanter Geist, der hervorragende Schriften veröffentlichte und unschlagbare Dispute abhielt. Weder der Kanzler noch der Rektor konnten sich leisten, ihn zu verlieren.»
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«Wieso war seine Forschung nicht im Einklang mit der Kirche?», fragte Fabiou erstaunt.
«Nun, das begann mit Leonardo da Vinci. Da Vinci mochte ein Günstling von König François sein, aber in Rom galten seine Lehren als Ketzerei. Auf französischem Boden konnte es sich kein Kanzler leisten, seine Lehren zu verbieten, aber Begeisterung hat Pierres Vorliebe für diese Theorien natürlich nicht ausgelöst. Der Kanzler gehörte eben zu denen, die meinten, hätte Gott
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