Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
Vom Netzwerk:
standen mindestens vier Schritte entfernt. «Wer… hat das gesagt?», fragte er etwas dümmlich ins Leere.
    «Na, ich!», kam es erneut von oben. Von ziemlich weit oben. Fabiou legte den Kopf in den Nacken. Zwischen den Ästen des Baumes, unter dem er sich befand, war ein rundliches Gesicht erschienen. Er hatte sich offensichtlich genau den Baum ausgesucht, den Henric de Navarra sich als Asyl erwählt hatte.
    «Ach, du b… Ihr seid es.» Himmel, wie spricht man einen noch nicht mal fünfjährigen Thronfolger an? «Ich schreibe. Gedichte, um genau zu sein.»
    «Gedichte? Ehrlich?» Henric lehnte sich so weit vor, dass der Ast, auf dem er saß, gefährlich wippte. «Meine Oma hat auch Gedichte geschrieben. Aber auf Französisch», meinte er. Fabiou musste sich konzentrieren, ihn zu verstehen, er sprach mit ausgeprägtem Béarner Akzent.
    «Ich schreibe auch auf Französisch», stellte Fabiou klar.
    «Echt? Du kannst Französisch?» Auf Henrics Gesicht war ein bewundernder Ausdruck erschienen.
    «Natürlich. Ihr nicht?», fragte Fabiou erstaunt. Immerhin war das ein Neffe des französischen Königs.
    «Doooch…», meinte Henric gedehnt. «Aber noch nicht so gut.»
    Er kletterte noch weiter nach vorne. Der Ast bog sich zunehmend nach unten. «Was schreibst du denn für Gedichte?», fragte er neugierig.
    «Eine Ballade schreibe ich», antwortete Fabiou wichtig. «Über den Mordfall, der Ais zurzeit in Atem hält.» Das war natürlich eine maßlose Übertreibung, aber es klang großartig.
    «Ein Mord?» Henrics Augen wurden groß wie Fassgauben.
    «Zwei Morde sogar», erklärte Fabiou. «Ein deutscher Kaufmann und ein Augustinermönch aus Ais.»
    Der Ast knackte jetzt bedenklich, und Fabiou zog unbehaglich den Kopf ein, doch Henric schwang sich bereits flink wie ein Affe nach unten und plumpste neben ihm ins Gras. «Und wer hat sie tot gemacht?», fragte er aufgeregt.
    263
    «Das weiß ich noch nicht», antwortete Fabiou. «Aber ich werde es herausfinden.»
    «War der Deutsche katholisch?», fragte Henric.
    «Hm… ich glaube. Wieso?»
    «Dann waren es die Engländer», befand Henric.
    «Wieso die Engländer?»
    «Na, weil die Engländer doch immer Katholiken umbringen, und Mönche ganz besonders», erklärte Henric, entsetzt über Fabious Unwissen. «Das weiß ich von Tante Catharina. Die hat uns letztens zu Hause besucht, und da hat sie irgendwann einmal so gemacht…» Henric machte ein grauenerfülltes Gesicht, bekreuzigte sich wie wild und rief: «Mamma mia, la casa di antichristo, dio mio! – Und dann hat sie irgendwelche Geschichten erzählt von so einem Engländer, der Henri hieß, so wie ich und mein Onkel, und der immer Mönche totgemacht hat. Und da ist Mama total wütend geworden und hat gesagt, bei uns in Navarra würde alles ganz anders werden als in England, und dann hat sie zu Onkel Henri gesagt, er soll seinen Drachen nehmen und heimfahren.» Und als Fabiou ihn mit offenem Mund anstarrte, meinte er beruhigend:
    «Mit dem Drachen hat sie nur Tante Catharina gemeint. In Navarra gibt’s eigentlich keine Drachen mehr, glaube ich.»
    «Hm…» Fabiou runzelte die Stirn. Das war eine Richtung, in die er noch überhaupt nicht gedacht hatte. Das mit den Engländern war natürlich Unsinn. Aber wenn es Kampfbünde fanatischer Katholiken gab, existierte dasselbe vermutlich auch auf protestantischer Seite. Konnten die Morde die Tat eines protestantischen Attentäters sein?
    «Wie heißt du eigentlich?», fragte Henric interessiert.
    «Fabiou.» Andererseits war Ais voller Katholiken. Warum gerade ein ausländischer Reisender und ein bescheidener Bücherwurm in einem Konvent? Warum hatte der Mörder sich dann nicht Senher Estrave ausgesucht, oder den Bischof?
    «Ich habe drei Namen», erklärte der Junge. «Eigentlich heiße ich Henric, aber mein Onkel nennt mich Henri, und meine Tante Enrico.»
    264
    «Ah. Interessant.» Fabiou hätte sich jetzt eigentlich ganz gern wieder seiner Ballade zugewandt, aber Henric de Navarra war noch nicht fertig. «Gehst du mit mir zum Jeu de Paume?», fragte er.
    «Wie?» Fabiou sah ihn erstaunt an. Jeu de Paume! Ausgerechnet! Jean de Mergoult war ein begeisterter Jeu-de-Paume-Spieler, wenn es einen Ort gab, wo man ihm hundertprozentig über den Weg lief, dann auf dem Spielfeld. «Könnt Ihr… könnt Ihr nicht alleine hingehen? Ich… muss noch an meiner Ballade schreiben…»
    «Das geht nicht», rief Henric de Navarra mit dem fordernden Unterton eines Jungen aus, der Befehle

Weitere Kostenlose Bücher