Die Kinder des Ketzers
Brieul, der die Veranstaltung zum sechzehnten Mal besuchte.
«Also, wie sieht’s aus?», rief Jean auffordernd.
Zehn Minuten später standen sie alle bei den Ställen, und ein paar Reitknechte machten die Pferde fertig. «Dass ihr keine eigenen Reitpferde dabei habt», meinte Alessia kopfschüttelnd. «Ich habe zwei dabei, einen Schimmel und einen Rappen. Aber ich nehme lieber den Schimmel, der passt besser zu meinem Kleid.» Catarino 258
sah ihr hinterher, wie sie hoch erhobenen Hauptes auf ihr Pferd zustolzierte, und sagte laut und vernehmlich zu den Umstehenden:
«Falls dieses Weibsstück demnächst einem furchtbaren Verbrechen zum Opfer fällt, braucht ihr nicht lange nach dem Täter suchen. Das bin dann nämlich ich.»
Die Kutscher drehten sich zu ihnen um, als sie aus dem Tor herausritten, und auf Bardous Stirn gruben sich tiefe Falten ein, als er Catarino und Cristino erkannte. Aber nicht er war es, der etwas sagte.
Als sie im Begriff waren, den Hof zu verlassen, kam jemand von der Seite auf sie zugerannt und griff Cristinos Pferd am Zügel. «Wo wollt Ihr hin?», rief er aus. Es war Loís.
Cristino wurde rot. Ein Diener, der ihr nachlief wie ein Kindermädchen, das hatte ihr gerade noch gefehlt. «Loís, verschwinde!», zischte sie. Sie spürte die belustigten Blicke der anderen wie Nadelstiche in ihrem Rücken.
«Ihr wollt doch nicht etwa in die Keyrié reiten, oder?», fragte Loís ärgerlich. «Habt Ihr vergessen, was neulich in der Coumbo passiert ist?»
«Sagt mal, wer ist diese Ratte?», rief Jean de Mergoult verächtlich aus.
«Unser Pferdeknecht», murmelte Catarino, die nicht minder verlegen war.
«Pferdeknecht?», lachte Andréu d’Estrave. «Lasst Ihr Euch von Euren Pferdeknechten immer so herumkommandieren?»
«He, verdammt, dem Kerl sollte man mal Manieren beibringen!», rief der junge St. Roque. Cristinos Gesicht wurde noch eine Spur dunkler. «Lass mein Pferd los, Loís, bitte!», flehte sie.
«Erst sagt Ihr mir, was Ihr vorhabt!», rief Loís wütend. Ein Pferd drängte sich neben Cristino, es war Alexandre de Mergoult. «Aus dem Weg, Diener!», rief er. Etwas zischte durch die Luft.
Loís ließ die Zügel los und taumelte keuchend rückwärts.
«Bei diese Kerlen muss man sich durchsetzen, sonst tanzen sie einem auf der Nase herum», sagte Alexandre und trieb sein Pferd an. Cristino sagte nichts. Sie starrte auf Loís, der kreideweiß an 259
der Mauer lehnte und seinen Arm umklammerte, den Mergoults Reitpeitsche getroffen hatte. Von seinem Handgelenk bis zum Ellenbogen zog sich ein klaffender Schnitt, aus dem Blut rieselte und auf die Pflastersteine tropfte.
«Cristino, wo bleibt Ihr?», rief Alexandre de Mergoult. Sie trieb ihr Pferd an und ritt den anderen hinterher.
***
Fabiou der Poet saß im Gras, mit dem Rücken gegen einen Baum gelehnt, und haderte mit seinem Schicksal. Das Problem war nicht nur, dass Ronsard in seiner Situation bis zum Einbruch der Dunkelheit sicher je eine Sonette für die Gastgeberin, die Königin von Navarra und einen Großteil der anwesenden Damen fertiggestellt hätte, während er jetzt schon eine gute Stunde an seinem Kohlestift herumkaute, ohne dass ein messbares Ergebnis dabei herausgekommen wäre. Das Problem war vor allem, dass er heute zum ersten Mal die Gelegenheit gehabt hatte, einen Dichterkollegen kennenzulernen, und derart kläglich gescheitert war.
Während die Großmutter sich grummelnd auf die Suche nach Cristino und Catarino gemacht hatte, war er weiter über das Festgelände geschlendert. Und dort, in der Nähe des Teiches, wo die Herren und Damen auf Bänken sitzend an ihren Weingläsern nippten, hatte er dann das Gerücht vernommen: Baïf ist da. Das war eine Neuigkeit gewesen! Ein so bekannter Poet, hier, auf dieser Feierlichkeit! Fabiou machte sich augenblicklich auf die Suche, drängte sich durch die Festgesellschaft und verglich verstohlen die Gesichter der umstehenden Herren mit den diversen Portraitzeichnungen, die er bereits von Baïf gesehen hatte, meistens auf den Aushängen, mit denen die Buchhändler die Neuerscheinung des Werks eines Dichters anzukündigen pflegten. Natürlich wusste er, dass diese Zeichnungen meist nur eine ungefähre Ähnlichkeit hatten mit demjenigen, der dafür Modell gestanden hatte, und von Ronsard bis Du Bellay gleichermaßen einen jungen Herrn mit heller Lockenmähne und elegantem Schnurrbart zeigten, der im 260
Allgemeinen mit einer römischen Toga bekleidet war. Aber einen anderen
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