Die Kinder des Ketzers
Doch Frederi antwortete nicht. Stattdessen war es wieder Beatrix, die sprach. «Mein Gott, ich kann nicht fassen, dass du das zulässt!» Schrill, aggressiv ihre Stimme.
«Heilige Jungfrau Maria, was soll ich denn machen?» Das war wieder Frederi. Er klang nervös. «Sie will es doch so. Sie hat mich angefleht, dabei zu bleiben. Gott, wenn ich es täte… es würde ihr das Herz brechen, versteh doch!»
«Sie hat kein Recht dazu, das von dir zu verlangen!» Beatrix’
Stimme, ärgerlich, fordernd.
«Oh doch, sie hat ein Recht.» Frederis Worte klangen brüchig.
«Und ich als ihr Ehemann habe die Verpflichtung, ihr diesen Wunsch zu erfüllen.»
«Du hast noch eine andere Verpflichtung.» Jetzt zitterte auch Beatrix’ Stimme. «Eine Verpflichtung gegenüber Cristou und Pierre! Gott, dass du dich nicht schämst, das zu tun!»
374
«Ich schäme mich, Beatrix, ich schäme mich wirklich», sagte Frederi leise. «Aber ich liebe sie. Es tut mir leid, ich liebe sie einfach.»
Unten knallte eine Tür. Beatrix war gegangen.
Das Essen wurde in nahezu vollkommenem Stillschweigen eingenommen, obwohl Suso, die Köchin, sich wieder einmal selbst übertroffen hatte. Weder die Messe zugunsten des armen Senher Bossard noch Tante Beatrix’ Besuch fand noch irgendeine Erwähnung. Das Einzige, was zu hören war, war ein gelegentliches Jammern von Catarino, die todunglücklich war, dass ihre Tante schon wieder gegangen war, und das schließlich ziemlich energisch von Frederi unterbunden wurde. Danach herrschte endgültig Grabesruhe an der Tafel. Die Stille weckte die Erinnerung an unangenehme Träume. Cristino brachte kaum einen Bissen herunter. Und auch Fabiou schien mehr mit seinen eigenen Gedanken als mit dem üppigen Mahl vor seiner Nase beschäftigt.
Endlich wurde die Tafel aufgehoben, die Damen Castelblanc und Auban zogen sich zurück, Onkel Philomenus verließ das Haus noch einmal, um sich mit «Freunden» zu treffen und das weitere Vorgehen bezüglich der Verfolgung der Antonius-Jünger zu erörtern. Er lud Frederi ein, ihn zu begleiten, doch der war seit seinem Gespräch mit Tante Beatrix ziemlich blass und in sich gekehrt und lehnte dankend ab.
Fabiou war noch immer völlig in Gedanken versunken, als er wenig später über den Gang in Richtung seines Zimmers lief. Schwer zu sagen, was ihn mehr beschäftigte, die niederschmetternde Erkenntnis, dass seine Nachforschungen schlichtweg ins Leere führten, oder das eigentümliche Gespräch zwischen Beatrix und seinem Stiefvater, das er belauscht hatte und auf das er sich trotz intensiven Nachdenkens keinerlei Reim machen konnte. So brütete er vor sich hin, als er plötzlich die helle Stimme der Küchenmagd Beata hörte, die von rechts, aus Richtung der Küche zu kommen schien und gerade energisch erklärte: «Ja, Himmel, war er denn wirklich so schlimm, der Bossard, dass du ihm nicht mal ein Ave Maria gönnst?»
«Pah!» Das war jetzt Suso, die Köchin. «Ich bin nicht aus Sant Francès weggegangen und hab’ mich als Dienstmagd in der Stadt verdingt, weil’s unter Senher Bossard gut leben war! Hat unser 375
Dorf ausgebeutet nach Strich und Faden, und wer ihm dumm kam, ist am Galgen gelandet! Der kann von mir aus zur Hölle fahren, der Bossard!»
Sant Francès, Sant Francès, denk nach, Fabiou, da war etwas mit diesem Sant Francès…
«Warum seid ihr nicht vor Gericht gegangen?», fragte Beata ungläubig. «Ich meine, es gibt doch Gesetze gegen so etwas»
«Gesetze! Pah!» ereiferte sich Suso. «Der war doch gut Freund mit dem halben Parlament, der Saftsack! Du glaubst doch nicht im Ernst, dass wir da Recht gekriegt hätten!»
Sant Francès! 1544! Das ist es!
Die beiden Weiber schrien auf, als Fabiou wie eine Kanonenkugel in die Küche geschossen kam. «Heilige Mutter Gottes, habt Ihr mich erschreckt!», keuchte Suso. «Was gibt’s? Habt Ihr noch Hunger? War’s nicht reichlich genug?»
«Hunger! Blödsinn!» Fabiou schüttelte heftig den Kopf. «Du bist aus Sant Francès, habe ich das richtig verstanden?»
«So wahr ich hier stehe und einen Kochtopf in der Hand halte!», brüstete sich die Suso und hob zum Beweis den Topf in die Höhe, den sie soeben noch mit einer Wurzelbürste geschrubbt hatte.
«Wann hast du dein Dorf verlassen?», fragte Fabiou.
«Oh – lasst mich denken. Hm.» Die Köchin stellte erst mal den Topf im Spülstein ab und runzelte dann angestrengt die Stirn. «Na, ist inzwischen fast zwölf Jahre her, würde ich sagen.»
Könnte passen.
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