Die Kinder des Ketzers
hervor aus der Nacht, geboren aus dem Zentrum des schrecklichen Sternschattens, in ihren Augen die Schwärze, aus der sie emporsteigt. Das Mädchen mit den schwarzen Haaren. Sie ist zurück in jener Kutsche, deren Dach höher ist als der Himmel und der Boden tiefer als das Weltmeer. Fern die Schatten der fremden Gestalten, die ihr doch so unbegreiflich bekannt erscheinen, hoch über ihr das Fenster, hinter dem es zuckt und leuchtet wie der Widerschein eines flackernden Feuers. Sie weiß, dass sie es sehen muss, das Verborgene, die flackernde, flammende Welt hinter dem Fenster, ihre Hand findet Halt am Fensterrahmen, sie zieht sich hoch, stellt ihre Beine auf den Sitz, stellt sich auf die Zehenspitzen…
… und ein Gesicht klatscht gegen den Fensterrahmen, ein verzerrtes, zerdrücktes, blutüberströmtes Gesicht, weit aufgerissen die Augen, weit aufgerissen der Mund, aus dem ein Laut dringt wie das Ächzen eines verendenden Rindes, und doch ist es das Gesicht einer Frau, lange seidige Haare, aus denen Schweiß und Blut tropft, und Cristino schreit, dass ihre Kehle schmerzt…
Und die Tür ist offen.
Sie klettert die Stufen hinab, Stufen, gebaut für einen Riesen, und dann steht sie auf dem Weg, der in der Sonne glänzt, während düster die Rauchschwaden über ihn hinwegtreiben. Ein Leichenzug kommt über jenen Weg auf sie zu, ein Leichenzug, angeführt von dem Mädchen mit den schwarzen Haaren, flankiert von zwei weiteren Gestalten, die nur undeutlich zu erkennen sind, ein Lei368
chenzug, der umso morbider ist, als auch die Zuschauer auf beiden Seiten Tote sind, Tote, die mit offenen Augen am Wegesrand liegen, nebeneinander, übereinander, verschlungen in einer finalen Umarmung. Langsam läuft das Mädchen, den Blick starr auf das gerichtet, was sie in ihren Armen trägt, ein Bündel bestehend aus einem fleckigen Stück Tuch, ein Bündel, in dem sich etwas bewegt und das sie trägt, wie man ein Kind zur Taufe trägt. Das Mädchen bleibt stehen vor Cristino. Und Cristino sieht. Es ist kein Kind, kein kleiner, wimmernder Säugling, wie es Maria Anno vor einem Jahr noch war. In dem fleckigen Tuch liegt ein grausiger Homunkulus, ein Wesen kaum ein Viertel so groß wie ein Neugeborenes, mit einem riesigen Kopf, der aus roter Gallerte zu sein scheint, eingesunkenen, leblosen Augen, einem lippenlosen Spalt als Mund und einem mageren, winzigen Körper. Es schreit nicht, das Wesen, es atmet nicht, und das einzige Lebenszeichen ist das Zucken der dürren Arme und Beine mit den verkrüppelten Fingern und Zehen.
Cristino dreht sich um und rennt. Es ist Nacht jetzt, sogar der Schein des Feuers ist verschwunden, nur düstere endlose Gänge und der hohle Hall ihrer eigenen Schritte auf Marmorplatten. Es ist hinter ihr, folgt ihr mit Schritten doppelt so groß wie die ihren, sie hört seinen Atem in der Nacht, sein Geifern, das Knirschen seiner ausgefahrenen Krallen. Mamaa, ruft sie, Papa, wo seid ihr, helft mir doch, und hinter ihr lacht das Untier, lacht und kommt näher, aus dem Augenwinkel sieht sie seinen Schatten über die Wände tanzen, Mamaa, schreit sie, Mamaaa, hilf miiir!
Sie stolpert. Etwas liegt quer über den Gang, etwas weiches, massives, wie ein menschlicher Körper, und doch anders, kälter, steifer, erstarrt bleibt sie stehen und blickt auf den Fußboden und hinter ihr lacht es schrill und grausig, und das Untier kommt näher. Es ist ein Mädchen, das da vor ihr auf dem Boden liegt, ein Mädchen mit lockigen blonden Haaren. Der Kopf des Kindes ist in den Nacken gelegt, und es sieht sie an, der Mund halb geöffnet in dem aufgequollenen, blau verfärbten Gesicht, winzige Sprenkel wie kleine rote Sommersprossen auf den halb geschlossenen Augenlidern.
«Cristino!»
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Hinter ihr heult es auf in Triumph, und sie dreht sich um und starrt auf eine große Frau, die auf sie zugestürmt kommt, lange helle Haare flatternd um ihren Kopf wie lodernde Flammen und ein Lachen auf dem Gesicht wie das Grinsen eines Dämons.
«Cristino, he, bist du blöd? Du kannst doch nicht in einer Totenmesse pennen!» Ein Ellenbogen, gezielt in ihre Seite gerammt, ließ sie hochfahren, da filierten die Leute nach vorne, nahmen aus der Hand des Bischofs und zweier ihm zur Seite gestellter Priester die Kommunion entgegen, «Los, ma petite !», zischte Catarino. Sie stolperte auf die Füße, ihre Knie wackelten, dass sie sich an der Gebetsbank festhalten musste, und dann stand sie in der Reihe der Wartenden, stakste benommen vorwärts,
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