Die Kinder des Ketzers
dann winkte sie ihr zu. «Kommt.»
Cristino stand auf, Catarino und Frederi Jùli ebenfalls, doch mit einer Handbewegung, die nicht anders als gebieterisch zu bezeichnen war, hieß die Alte sie stehenzubleiben. «Nur Ihr!», sagte sie zu Cristino. «Ihr seid betroffen, Ihr werdet mitgehen. Das Tarot ist kein Spiel für Neugierige und Gelangweilte.» Fabiou wartete auf Protest; Catarino war die Letzte, die sich von einem Bettelweib herumkommandieren lassen würde, doch erstaunlicherweise schwieg diese ebenso betreten wie Frederi Jùli. «Kommt», sagte die Alte noch einmal, ergriff Cristinos Hand und zog sie hinter sich her.«Halt»,sagteLoís.DieAltedrehtesichum.
«Die Barouneto geht alleine nirgendwohin», sagte Loís.
«Gut, komm mit», murrte die Alte. Loís warf Fabiou einen Blick zu und folgte ihnen.
«Hach», seufzte Catarino, die verschleierten Augen zwischen die Wagen gerichtet. Dorthin, wo Hannes, der Gaukler, verschwunden war.
***
Hinter dem Gauklerlager fiel der Weg ein paar Schritt tief steil ab, und dort war eine einfache Hütte an den Hang gelehnt, wie man sie oft im Umkreis der Städte fand, grob zusammengezimmert aus Ästen und morschen Brettern, die Ritzen mit Lehm verklebt, das Dach mit Moos und ausgestochenem Gras gedeckt. Windschief wie dieser Verschlag war, lag der Verdacht nahe, die Alte habe ihn sich selber gebaut, als notdürftigen Schutz gegen Regen und Kälte. Offensichtlich gehörte sie mitnichten dem fahrenden Volk an, son513
dern hauste in der Tat hier, vor den Toren von Ais, der Stadt, in der sie ihr Brot verdiente.
Statt einer Tür hing nur eine alte Decke vor dem Eingang. Diese schob die Alte beiseite und sagte: «Du wartest hier» zu Loís und
«Ihr könnt eintreten» zu Cristino. Letztere bedachte das Hüttlein mit einem mehr als zweifelnden Blick, es sah so aus, als wimmele es darin von Wanzen, Flöhen und Ratten und als ob es überdies in den nächsten zwanzig Sekunden in sich zusammenfallen würde, alle erschlagend, die sich darin aufhielten. Doch schließlich ging es um Agnes Degrelho, und wenn die Aussicht, sie loszuwerden, kein Risiko wert war, was denn dann!
Cristino trat also ein, mit einem ängstlichen Blick in Richtung des Dachs und sämtlicher Ecken, während Loís sich wie eine Schildwache neben dem Eingang postierte und wachsame Blicke in Richtung Sonnenuntergang sandte. Im Innern herrschte gedämpftes Halbdunkel, was den Raum nicht unbedingt anheimelnder wirken ließ, und Cristino bereute schon, der Alten überhaupt gefolgt zu sein, als plötzlich ein Licht aufflammte.
Es gehörte zu einer Kerze, die in einem getönten Glas stand. Augenblicklich verbreitete sich ein angenehmer rotbrauner Glanz in der Hütte. Cristino sah sich erneut um und stellte überrascht fest, dass die Hütte zwar klein und windschief, mitnichten aber dreckig war. In einer Ecke standen eine Marienstatue und ein Kruzifix, beide schwarz vor Alter; die Wände waren mit bunten Tüchern verhängt, die fast so etwas wie Gemütlichkeit verbreiteten, zudem sah man nirgends schwarze Katzen, Kröten, Schlangenzähne und an Perlenschnüren aufgezogene menschliche Knochen oder was man sich sonst als Dekoration einer Hexenbehausung vorstellt. Die Alte nahm einen kleinen Hocker und stellte ihn vor den einzigen Einrichtungsgegenstand, einen niedrigen runden Tisch, und hieß Cristino, Platz zu nehmen. Sie selbst hockte sich auf der gegenüberliegenden Tischseite im Schneidersitz auf den Boden, die brennende Kerze in die Mitte des Tisches stellend. Cristino raffte ihren Rock beisammen und setzte sich. Der Hocker war ziemlich unbequem verglichen mit dem, was man ihr sonst an Stühlen anzubieten pflegte. Doch sie hatte nicht viel Zeit, über den mangelnden Komfort zu grübeln, denn die Alte zog bereits ihre Aufmerk514
samkeit auf sich, indem sie ihre Hand ergriff, die linke, um genau zu sein, und murmelte: «Was macht ein Mädchen, das so eine Hand besitzt, so traurig?»
Nun, verglichen mit ihrer eigenen Hand ist meine natürlich ein Abbild des Himmels, dachte Cristino ironisch, denn sie war stolz auf ihre zarte weiße Haut – ganz ohne Sommersprossen, ätsch, Catarino – und fühlte dieselbe in der schwieligen und nicht allzu sauberen Pranke der Alten mit den gelblichen, gefurchten Fingernägeln nicht sonderlich gut aufgehoben. Doch der Versuch, sie sanft zu entwinden, wurde von den festen Fingern der Wahrsagerin vereitelt. «Die Schicksalslinie…», murmelte sie, «selten so gesehen, so eine
Weitere Kostenlose Bücher