Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
Vom Netzwerk:
ausgeprägte Schicksalslinie. Jaja. Und diese Lebenslinie…
    Möglichkeiten, viele Möglichkeiten. Ihr könnt große Dinge vollbringen, mein Kind.»
    Cristino fand es ziemlich frech von dieser Bettlerin, dass sie sie
    «mein Kind» nannte, aber sie fand es unklug, eine Hexe zu verärgern, weswegen sie die Bemerkung hinnahm und fragte: «Was willst du damit sagen? Dass ich einen berühmten Mann heiraten werde?»
    «Heiraten!» Die Alte verzog höhnisch ihre rissigen Lippen. Sie hatte einen seltsamen Akzent, irgendwie fremdländisch. Spanisch vielleicht. «Sonst keine Pläne, keine Fantasie? Jaja, immer so. Großes Schicksal, doch geht verloren. Geht immer verloren.»
    «Wie meinst du das?», fragte Cristino und runzelte die Stirn. Die Alte umfasste zu Cristinos Ärger jetzt auch noch ihre rechte Hand. «In diesen Händen liegt Magie», flüsterte sie. «Heilende Kräfte, diese Hände, wie die Hände des heiligen Cosmas.»
    Cristino blickte zweifelnd auf ihre Handflächen. «Und was ist mit der Liebeslinie?» Anne das Pferd, die mal bei einer Handleserin gewesen war, hatte ihr gesagt, das Wichtigste sei immer die Liebeslinie. Sie, Anne, habe eine wunderbare Liebeslinie. Die Alte warf einen kurzen, nachlässigen Blick auf Cristinos Handfläche. Das Thema Liebeslinie schien sie nicht weiter zu interessieren. «Die Liebe wird schon zu Euch kommen, Kindchen. Aber nehmt Ihr sie an, Kindchen, das ist die Frage. Aber egal. Ihr wolltet erzählen, was Euch bedrückt!»
    Kindchen! Das wird ja immer besser!
    515
    «Das Problem ist…», Cristino räusperte sich, «… ich bin besessen. Vom Geist eines toten Mädchens.»
    Die Alte tippte sich mit dem Finger gegen ihre krumme Nase.
    «Oh», sagte sie.
    «Agnes heißt sie, Agnes Degrelho. Sie wurde ermordet. Vor fünfzehn Jahren etwa. Von ihrem Kindermädchen, das eine Hexe war. Und ich habe ein Medaillon auf dem Markt gekauft, das einmal ihr gehört hat.» Cristino zog ihr Medaillon aus dem Ausschnitt und zeigte es der Alten. «Und seitdem träume ich jede Nacht von ihr. Das heißt, ich träume, dass ich sie bin. Und es sind furchtbare Träume!» Cristino schauderte. «Dass ich von dem Kindermädchen verfolgt werde. Und – andere Sachen. Von Toten. Vielen Toten. Und das ist noch nicht einmal das Schlimmste.» Sie holte tief Luft. «Ich weiß plötzlich Sachen, die ich gar nicht wissen kann. Sachen, die nur sie wissen kann. Ich war letztens in einem Haus, wo sie einmal gewohnt hatte, und ich kannte das Haus, obwohl ich nie zuvor dort war. Und da war ein Bild von ihr, und das sah genau so aus wie das Kind, das ich im Traum im Spiegel gesehen habe.» Sie sah die Alte flehentlich an. «Kannst du machen, dass sie weggeht? Ich zahle auch dafür. Da, den bekommst du, wenn Agnes verschwindet!»
    Sie zeigte auf den Ring, den sie an einem Finger ihrer linken Hand trug.
    Die Alte ließ Cristinos Hände los und betrachtete sie nachdenklich. Sie hatte schwarze Augen, fiel Cristino auf, die tief und geheimnisvoll zwischen ihren faltigen Lidern lagen. «Ein Geist», flüsterte sie. «Geist eines kleinen Mädchens. Armes kleines Mädchen. Ihr denkt, sie will Euch Böses, will Euch weh tun. Doch es ist nur ein armes kleines Mädchen, umgebracht vor der Zeit.» Sie sah auf. «Habt Ihr je daran gedacht», fragte sie, «dass das kleine Mädchen vielleicht Eure Hilfe sucht?»
    «Meine Hilfe?»
    «Was tut Ihr, in dem Traum, ja? Ihr seid Agnes und flieht vor dem Kindermädchen. Was tut Ihr?», fragte die Alte.
    «Was ich tue?»
    «Nun, Ihr versucht, Euch zu verstecken, Ihr ruft um Hilfe oder was?»
    «Hm… ja… ich rufe um Hilfe.»
    516
    «Wen ruft Ihr?»
    «Meine… Eltern.»
    «Eure Eltern? Wirklich, ja? Oder die Eltern von dem kleinen Mädchen?»
    Cristino schluckte. «Ich glaube, Agnes’ Eltern.»
    «Und? Kommen sie?»
    «Sie… sie können ja nicht kommen. Sie sind ja tot!», rief Cristino.
    Die Alte zog angegraute, buschige Augenbrauen hoch.
    «Sie sind auch ermordet worden», erklärte Cristino. «Ein halbes Jahr vorher. Von Räubern.»
    «Agnes ruft ihre Eltern. Und die können nicht kommen. Arme Agnes. Und dann?»
    «Am Anfang bin ich da aufgewacht. Aber später… ist der Traum dann weitergegangen. Jedes Mal ein kleines Stückchen weiter.»
    «Und was ist passiert?»
    Cristino senkte den Kopf. «Ich stolpere über ein totes Mädchen», flüsterte sie.
    «Ein totes Mädchen.»
    «Ja. Ich bin es selber. Oder auch nicht, ich weiß nicht.»
    «Und dann?»
    «Dann renne ich wieder.»
    «Und Ihr

Weitere Kostenlose Bücher