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Die Kinder des Ketzers

Die Kinder des Ketzers

Titel: Die Kinder des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Klink
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sagte er. Ich habe ihm das aufs Wort geglaubt.» Sie lachte bitter auf.
    «Ja, und, was ist passiert?», fragte Catarino atemlos. Ein seltsam stolzes Lächeln erschien auf Beatrix’ bleichem Gesicht. «Ihr hättet euren Onkel erleben sollen. Kommt rein, sagte er, setzt euch hin, ich bin in einer halben Stunde wieder da. Das war er auch, mit einem kleinen Vermögen in Gold unter dem Arm. Ich weiß nicht, wie er das so schnell aufgetrieben hat. Er drückte Philippe das Gold in die Hand und gleich noch die Zügel von zwei Pferden, die er sonstwo hergezaubert hatte. Geht zur Porto BelloGardo, der Wächter dort weiß Bescheid und lässt euch durch, sagte er, und dann macht, dass ihr in die Schweiz kommt. Philippe hat fast geheult vor Erleichterung. Und Pierre – er war so glücklich. Ich hab’ ihm gesagt, wenn Maynier das ‘rausbekommt, bist du geliefert, aber er lachte bloß und meinte, gibt es einen besseren Grund zu sterben, als einen guten Freund zu retten und einem miesen 557
    Despoten wie Maynier die Tour zu vermasseln? – Er war ein unglaublich mutiger Mensch, euer Onkel», sagte Beatrix leise.
    «Und Philippe?», fragte Fabiou. Er hatte bei Beatrix’ Erzählung unwillkürlich grinsen müssen. Onkel Pierre wurde ihm zunehmend sympathisch. Sie hob die Schultern. «Wir haben nie wieder von ihm gehört», sagte sie. «Ich hoffe, dass sie es geschafft haben und irgendwo glücklich und in Frieden leben. Ich bete jeden Tag dafür.» Tante Beatrix seufzte tief. «Kommt jetzt, Kinder, das waren genug Geschichten für einen Abend. Wir müssen zurück, sonst stellen sie mir dumme Fragen, und ihr bekommt Ärger.» Sie erhob sich, klopfte den Staub von ihren Kleidern und schritt auf den Weg hinaus. Wie erstarrt blieb sie stehen.
    «Oh – bonsoir , r Barouneto», sagte Alexandre de Mergoult erfreut, der nur wenige Schritte von ihnen entfernt neben seiner illegitimen Schwiegerschaft durch die rotglühend erleuchteten Grabsteinen wandelte, als die drei Bèuforts hinter ihrer Tante aus der Nische traten. «Tereso, darf ich dir die Barouneto Cristino de Bèufort vorstellen – und, äh, ja, ihre Schwester.» Catarino schnitt eine beleidigte Grimasse. Fabiou hätte unter anderen Umständen dasselbe getan, doch momentan hatte er nur Augen für seine Tante, die auf dem Kiesweg stand wie Lots Frau hinter den Mauern von Sodom und Gomorrha, erstarrt zur Salzsäule und ebenso weiß, und auf den Mann blickte, der wenige Schritte hinter Mergoult durch die Reihen der Gräber schritt. Es war Jean Maynier d’Oppède. Er schenkte ihr ein leeres Lächeln, als er an ihr vorbeiging, verbunden mit einer höflichen Neigung des Kopfes und den formelhaften Worten: «Gott zum Gruß, Mutter Oberin», denn im Gegensatz zu Onkel Philomenus kannte er sich aus in den klösterlichen Insignien. Und so unberührt wie das Lächeln auf seinem Gesicht schwebte, als er weiterschritt, konnte er nicht bemerkt haben, dass die Ordensschwester, statt den Gruß zu erwidern, ihn nur anstarrte, aus einem Gesicht, das nur noch aus zwei riesenhaften schwarzen Pupillen zu bestehen schien, umgeben von der Blässe des Todes. Er war vorbei. Fabiou trat neben seine Tante, betrachtete sie fragend, und sie drehte sich um mit der Mechanik eines Uhrwerks und blickte der Familie Maynier hinterdrein.
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    «Tante Beatrix –», begann er. Er sprach nicht weiter. Ihre Augen würgten jede Frage ab. Langsam, tastend legte sie ihren Arm um seine Schulter, und Fabiou zuckte zusammen, als sich ihre Finger in seinen Oberarm gruben. «Siehst du das?», hauchte sie. «Seine Hände?» Fabiou starrte auf Mayniers Hände. Die Sonne schickte ihre letzten glühenden Strahlen über den Horizont und tauchte sie in düsteres Rot.
    Und auf einmal spürte Fabiou, wie namenloses Grauen von ihm Besitz ergriff. Schlimmer als die Panik, die er auf der nächtlichen Straße im Angesicht des Kahlkopfes verspürt hatte, schlimmer als die Angst in der tödlichen Ruhe im Haus des Notars. Es war, als übertrage sich aus Beatrix’ verkrampften Fingern etwas auf ihn, ein Horror, der an Wahnsinn grenzte, und für einen Moment war er kurz davor, die Arme über den Kopf zu schlagen und zu schreien, bis seine Stimmbänder rissen.
    «Blut», sagte Beatrix und lachte, wie nur ein Wahnsinniger oder ein Mensch im Angesicht des Todes lachen konnte. «An seine Händen klebt Blut.»
    Fabiou riss sich los von ihr. Der Boden schlug langsame Wellen wie das Meer bei Ebbe. Hinter der Friedhofsmauer versank die Sonne, und

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