Die Kinder des Ketzers
warum fragst du das alles nicht deinen Stiefvater?
Ich war im Gegensatz zu ihm ja schließlich nicht dabei, weder bei Pierres noch bei Cristous Tod!», sagte Beatrix unwirsch. Na toll, dachte Fabiou, warum nicht gleich Onkel Philomenus fragen. Damit er mir vollends die Nase brechen kann, oder was?
«Das heißt, Frederi war wirklich dabei, als Vater starb?», fragte Catarino ungläubig.
«Auf jeden Fall war er einer der letzten Menschen, die an seiner Seite waren vor seinem Tod», antwortete Beatrix. «Und auf jeden Fall hat er nach Cristous Tod sein Theologiestudium abgebrochen, um sich um euch kümmern zu können. Aber lassen wir das. Mich interessiert mehr, was es mit dieser Mordgeschichte auf sich hat, die Fabiou vorhin angesprochen hat. Ich habe schon gehört, dass du dich ziemlich mit der Sache beschäftigst», – ich bin wirklich berühmt, dachte Fabiou begeistert –, «und ich muss sagen, dass mich diese Raubmord-Antonius-Jünger-Theorie auch nicht überzeugt. Es würde mich reizen, zu erfahren, was du herausgefunden hast.»
Oh, das ließ sich Fabiou natürlich nicht zweimal sagen. Eine Viertelstunde später war Tante Beatrix mehr als nachhaltig über 551
alles informiert, was Fabiou bezüglich der Morde, der AntoniusJünger, Trostett, Ingelfinger und der gesamten Familie Degrelho herausgefunden hatte. Tante Beatrix lauschte mit gerunzelter Stirn und ohne ihn auch nur einmal zu unterbrechen. Als er geendet hatte, lehnte sie den Kopf in den Nacken und blickte in den Himmel empor, der jetzt feuerrot erstrahlte. «Interessante Dinge, die du da herausgefunden hast», meinte sie. «Was sagt Frederi dazu?»
Fabious Gesicht verfinsterte sich. «Dass ich mich da ‘raushalten soll. Es sei zu gefährlich, und außerdem findet er es wohl unverschämt, dass ich Erwachsenen nachspioniere.»
«Nun, mit einem hat er sicher recht – ungefährlich ist das Ganze bestimmt nicht», meinte Beatrix nachdenklich. «Wahrscheinlich wäre es in der Tat besser, du hörtest auf deinen Stiefvater und mischtest dich nicht weiter in diese Geschichte ein.»
«Ja, das sagen alle – Frederi, der Viguié, ab und zu sogar Bruder Antonius, wenn er seinen schlechten Tag hat», rief Fabiou genervt.
«Aber ich denke gar nicht daran! Es geht hier um die Wahrheit, und ich werde sie herausfinden, und niemand wird mich davon abhalten, egal wie gefährlich es ist und egal was es mich kostet!»
Hach, klang das mutig! Er fühlte sich restlos heldenhaft. Beatrix schüttelte den Kopf. «Du bist ihm so ähnlich», flüsterte sie. Fabiou sah überrascht so etwas wie eine Träne in ihrem linken Augenwinkel. «Wem? Meinem Vater?», fragte er hoffnungsvoll.
«Ich meinte eigentlich – Pierre.» Sie schluckte. «Er hätte genau dasselbe gesagt. Wortwörtlich.»
Cristino, die die letzten zwanzig Minuten lang geschwiegen und die Ameisen beobachtet hatte, die in einer langen Reihe Körner und Reiser über den Kiesweg schleppten, hob den Kopf. «Tante Beatrix –», begann sie.
«Ja?»
«Tante Beatrix, ich habe gehört, Ihr kennt Euch mit Medizin aus.»
Sie lachte. «Wer hat dir denn davon erzählt?», fragte sie.
«Oh – Arnac de Couvencour», antwortete Cristino.
Beatrix fielen schier die Augen aus dem Kopf. «Arnac de – wie bitte? Du kennst Arnac de Couvencour?»
«J-ja, wieso? Ihr auch?»
552
«Äh, ja, von früher, als ich noch in Ais lebte. Ich habe seinen Vater gekannt.»
«Und was ist so komisch daran, dass wir ihn kennen?», fragte Catarino.
«Oh, nichts… äh… ich habe nur gehört, die Familie hätte sich aufs Land zurückgezogen, wegen des Prozesses, der gegen seinen Vater läuft… ich hätte nicht gedacht, dass ihr einander begegnet seid… Aber egal – ja, ich kenne mich etwas aus in der Medizin. Die Kongregation der Benediktinerinnen, der ich mich damals in Ais anschloss, beschäftigte sich intensiv mit der Krankenpflege.»
«Ich wusste gar nicht, dass es in Ais Benediktinerinnen gibt», stellte Fabiou fest.
«Gibt es in dem Sinn auch nicht. Sie gehörten zur Kongregation der Benediktinerinnen in Lyon und waren zu mildtätigen Zwecken nach Ais abgestellt. Mein Noviziat absolvierte ich in Lyon. Ich fühlte mich von Anfang an zur Arbeit in der Krankenpflege berufen und hatte das Glück, dass die Äbtissin diese Ansicht teilte und mich bald darauf wieder hierher schickte.» Sie legte den Kopf in den Nacken. «Das war Anfang der 40er. Es gab damals viel zu tun hier.» Sie sah Cristino forschend an. «Darf ich fragen,
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